Brandenburg ist bundesweiter Spitzenreiter bei Fahrerflucht
„Anbumsen“ und abhauen – das nimmt immer mehr zu. Kraftfahrer, die einem anderen beim Einparken eine Schramme oder eine Beule verpassen – und sich dann aus dem Staube machen. Einen Grund haben sie alle: „Ich habe nichts gemerkt. – „Ich hatte einen Schock.“ – „Dagegen gefahren – ich doch nicht!“ – „Es war überhaupt nichts zu sehen.“ Oder: „Das andere Auto hatte bereits eine Delle“. Das sind einige von zig Antworten. Auch wenn es nur Blechschäden oder Bagatellunfälle sind – wer so einen Unfall verursacht und sich dann sich aus dem Staube macht, begeht Fahrerflucht. Und das gilt ganz klar als Strafbestand. Jeder fünfte Unfallverursacher in Brandenburg begeht mittlerweile Fahrerflucht. In der überwiegenden Zahl der Fälle waren es kleinere Blechschäden innerhalb geschlossener Ortschaften.
Im vergangenen Jahr gab es in Brandenburg 82.611 Verkehrsunfälle. Und: In 16.701 Fällen war einer der Beteiligten unerlaubt auf und davon. Das ist doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt. Bundesweit flüchtete im vergangenen Jahr etwa bei jedem zehnten Unfall (10,6 Prozent) ein Beteiligter. Im vergangenen Jahr konnten im Brandenburger Land knapp 6600 Fahrer nach ihrer Flucht von der Polizei gestellt werden. Das sind gut 1500 mehr als 2010. Nicht immer ging es dabei um Bagatellschäden: Bei 420 Unfällen richteten die flüchtigen Verursacher im vergangenen Jahr größere Sachschäden über 5000 Euro an. Schlimmer: Fünf Menschen wurden 2016 in Brandenburg bei Unfällen mit Unfallflucht getötet.
Im Landkreis Dahme-Spreewald trugen sich inklusive der Autobahn im Jahr 2016 insgesamt 6375 Unfälle zu, davon sind 1340 Verkehrsunfallfluchten. Davon konnten 496 aufgeklärt werden. Im Jahr 2017 gab es bisher (Juli) 4041 Unfälle, 797 mit Unfallfluchten. Es konnten 308 Fälle aufgeklärt werden.
Grund für die insgesamt hohe Zahl von Unfallfluchten im Vergleich zur Gesamtzahl der Verkehrsunfälle sieht die Polizei darin, „dass bei vielen Bürgern eine Unfallflucht nur als ‚Kavaliersdelikt‘ gilt und auch ein gewisses Unrechtsbewusstsein fehlt“, so Mario Heinemann, Sprecher des Brandenburger Polizeipräsidiums. Für eine Unfallflucht gibt es viele Motive. So wollen sich die Täter vielfach ihrer Verantwortung entziehen, weil sie die Kosten fürchten oder ein anderes Vergehen, etwa Alkohol- oder Drogenkonsum, vertuschen möchten. Auch Zeitnot und Angst vor Ärger sind Fluchtgründe. Wer erwischt wird, muss harte Konsequenzen in Kauf nehmen. Unfallflüchtige haben demnach – je nach Schwere der Tat – mit einer hohen Geldstrafe, Punkten in Flensburg, Fahrverbot, Führerscheinentzug und sogar Haft zu rechnen. So wurde Fußballstar Raphaël Guerreiro von DFB-Pokalsieger Borussia Dortmund letzte Woche vom Amtsgericht Dortmund wegen Fahrerflucht zu einer Zahlung von 90.000 Euro an gemeinnützige Organisationen verurteilt. Außerdem erhielt der 23-Jährige eine Bewährungsstrafe in Höhe von weiteren 90.000 Euro.
Rund 95 Prozent aller Taten entfallen auf Fluchten nach einer Sachbeschädigung. Ein verzerrtes Bild zeigt die offizielle Statistik. Sie entwickelt sich nämlich positiv, weil dort nur das unerlaubte Entfernen vom Unfallort nach einem Personenschaden oder schwerem Sachschaden erfasst wird. Demnach dürfte allein die Zahl der angezeigten Fluchtdelikte pro Jahr bei deutlich über 500.000 liegen. Der Verkehrsverein ACE schätzt den Umfang der Unfallfluchten noch viel größer ein, weil nicht jeder Schaden überhaupt bekannt und angezeigt wird.
Bei den meisten Unfallfluchten sind die unschuldigen Opfer die Dummen. Zwar tritt die Vollkaskoversicherung für den Schaden am Fahrzeug ein, doch durch eine Selbstbeteiligung von üblicherweise 300 Euro und dem Verlust eines Teils des Schadenfreiheitsrabatts, muss der Betroffene insgesamt meist 1000 Euro selbst bezahlen. Daher werden viele Schäden wohl erst gar nicht gemeldet, vermutet der ACE. So oder so müssen die Opfer die Zeche zahlen, denn spätestens beim Verkauf des Autos, wirkt sich beispielsweise der eingedrückte Kotflügel negativ auf den Preis aus. Selbst wer von einem Flüchtenden verletzt wird, muss mit weniger Schadenersatz als bei einem „normalen“ Unfall rechnen. Doch die Gerichte gewähren den Opfern in aller Regel ein deutlich höheres Schmerzensgeld als der Verein der Autoversicherer. Bei Sachschäden verlangt die Verkehrsopferhilfe vom Geschädigten grundsätzlich eine Selbstbeteiligung in Höhe von 500 Euro. Am Fahrzeug werden Schäden von der Opferhilfe der Versicherer zudem nur dann ersetzt, wenn auch ein Personenschaden vorliegt.
Die Kaskoversicherung kann eine Leistung für Schäden am Fahrzeug des Täters ganz ablehnen. Die Kfz-Haftpflichtversicherung entschädigt zwar das Unfallopfer, kann sich aber bis zu 10.000 Euro vom Unfallflüchtigen zurückholen.
Der ACE rät jedem Verkehrsteilnehmer, immer am Unfallort zu bleiben und sofort über Handy selbst die Polizei zu verständigen oder verständigen zu lassen. Wer in der Nacht oder auf einer einsamen Landstraße einen Schaden verursacht, darf sich nach einer angemessenen Zeit von rund 30 Minuten vom Unfallort entfernen, muss aber den Schaden sofort anzeigen. Der ACE-Verkehrsrechtsexperte Volker Lempp erläutert den Sachverhalt: „Vom Gesetzt verlangt wird, dass der Schädiger sofort an der Unfallstelle stehen bleiben muss. Tut er das nicht, kann er sich schon wegen Unfallflucht strafbar machen. Das gilt auch dann, wenn er nach dem Zusammenstoß, einen Parkplatz sucht. Selbst wenn er die Absicht hat, von dort an die Unfallstelle zurückzukehren. „Selbst bei kleinen Sachschäden an Bäumen, Leitplanken oder parkenden Fahrzeugen ist ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort eine Straftat“, warnt ACE-Verkehrsrechtsexperte Florian Wolf.
Nur wenn körperliche Verletzungen vorliegen und deshalb ärztliche Versorgung erforderlich ist, kann die Wartepflicht entfallen. Verstreicht die Wartefrist, muss gleichwohl der Geschädigte ohne schuldhaftes Verzögern informiert werden. Falls dies nicht möglich ist, besteht die Pflicht, sich sofort bei der Polizei zu melden und den Unfall dort anzuzeigen. Ganz wichtig: Wer einmal unerlaubt die Unfallstelle verlassen hat, hat stets eine Unfallflucht begangen. Durch tätige Reue, also einer Nachmeldung innerhalb von 24 Stunden, kann der Autofahrer lediglich eine Strafmilderung erreichen. Die Nachmeldung ist zudem nur dann „gültig“, wenn lediglich ein Kleinschaden an einem geparkten Auto, Straßenzeichen oder sonstigem Gegenstand entstanden ist.
RED/ACE