Ein Gespräch mit einer Gründerin über Herausforderungen und Perspektiven im Gründungsprozess einer neuen Bildungseinrichtung
In unserer heutigen Ausgabe haben wir die Gelegenheit, einen Blick hinter die Kulissen einer besonderen Bildungseinrichtung zu werfen, die sich trotz behördlicher Hürden behauptet. Die Gründer der Immerkind Schule hatten sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Eine alternative, demokratische Schule zu gründen, die Kindern und Jugendlichen eine individuelle und gleichberechtigte Bildungserfahrung bietet. Doch der Weg dorthin ist steinig. Nach mehreren Rückschlägen im Genehmigungsprozess, einschließlich einer Ablehnung vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, halten sie an ihrer Vision fest. Wir sprachen mit einer der Gründerinnen über ihre Erfahrungen, Herausforderungen und Zukunftspläne.
Sehr geehrte Frau Weißbach, in der vergangenen Woche erreichte uns Ihr Leserbrief über Ihr Vorhaben und größere und kleinere Hürden auf dem Weg. Nun haben Sie unser Interesse geweckt und wir freuen uns, für unsere interessierten Leserinnen uns Leser einen tieferen Einblick in Ihr Projekt zu erhalten.
Was hat Sie zur Gründung der Immerkind Schule inspiriert und wie sieht das spezielle pädagogische Konzept aus, das Sie in Ihrer Schule umsetzen möchten?
Ulrike Weißbach: Erst einmal vielen Dank für die Möglichkeit Ihrer Leserschaft von der Immerkind Schule berichten zu dürfen.
Eine freie Schule zu gründen ist immer eine Mischung aus vielen Perspektiven, Ideen, Vorstellungen und Erfahrungen. Bei uns war es genauso. Eltern, Großeltern, Pädagog*innen, Erzieher*innen und Bildungsinteressierte trafen sich 2019 erstmalig, um über eine Schulgründung zu sprechen und gründeten den Trägerverein Immerkind Heidesee e.V.. Wir tauschten uns über eigene Bildungsbiografien, alternative Schulformen und reformpädagogische Ansätze aus. Nach einigen interessanten Diskussionen und Gesprächen wurde schnell klar, dass an unserer Schule Schüler*innen über den Schultag aktiv mitentscheiden sollten. Jede Stimme soll gehört werden, keine kleine Mehrheit über eine große Minderheit entscheiden. Daraus entstand unser pädagogisches Konzept, wir verbinden Bildung für Nachhaltige Entwicklung mit Naturpädagogik, freiem selbstbestimmten Lernen, Demokratiebildung, Bewegung und Beziehung gleichwertig miteinander. Wir verstehen Lernprozesse individuell und begleiten diese kompetent und gleichwürdig in einer wertschätzenden Gemeinschaft. Dabei orientieren wir uns auch an neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Hirnforschung, die belegen, dass insbesondere eine vertrauensvolle Umgebung essentiell ist, um nachhaltig lernen zu können. Ferner ist erwiesen, dass der Lernerfolg größer ist, wenn die intrinsische Motivation eines Kindes der Antrieb für die Auseinandersetzung mit einem Thema ist. Dafür sollen durch verschiedenste Projekte und Kooperationen mit anderen Institutionen der Gemeinde immer wieder neue Impulse gegeben werden.
An der Immerkind Schule werden Entscheidung im wöchentlichen Schulkreis gemeinsam getroffen. Demokratie von Anfang an. Das Wesentliche einer demokratischen Schule ist es, zu erfahren, dass man immer etwas ändern kann, wenn man eine Stimme hat, die gehört wird und Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen werden, die alle verstehen und vertreten.
Sie sprachen von den Herausforderungen im Genehmigungsprozess. Können Sie das Problem genauer erläutern und was wären Ihre Vorschläge, um den Prozess zu verbessern?
Ulrike Weißbach: Der Prozess allgemein, speziell die Kommunikation, mit dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ist schwierig, intransparent und oft nicht nachvollziehbar.
Momentan ist es so, dass alles, was für die Genehmigung einer staatlich genehmigten Ersatzschule notwendig ist, vollumfänglich nachgewiesen werden muss. Das ist einerseits natürlich logisch und unbedingt nötig, andererseits müssen wir als Trägerverein in finanzielle Vorleistung gehen, die im Falle der Nichtgenehmigung nicht zurück erstattet wird. Das heißt konkret, man muss ein Gebäude inkl. der kompletten Einrichtung und aller Abnahmen für Hygiene, Arbeitssicherheit und Brandschutz vorhalten. Dafür ist im Vorfeld ein langwieriges und kostspieliges Baugenehmigungsverfahren notwendig, da ein Gebäude entsprechend umgewidmet werden muss. Da kommen schnell mal fünfstellige Summen zusammen.
Alle notwendigen Stellen müssen besetzt und sämtliche Qualifikationen inkl. aller Arbeitsverträge nachgewiesen werden, das ist äußerst schwierig, wenn man den Bewerber*innen keine Garantie für die Stelle geben kann.
Die größte Herausforderung ist jedoch die Kommunikation mit dem MBJS. Beispielsweise warteten wir auf unsere erste Rückmeldung zum Genehmigungsantrag über neun Monate!
Wir wissen, dass sorgfältig geprüft werden muss und finden das grundsätzlich wichtig und richtig. Allerdings verzögert und verzerrt es den Genehmigungsprozess gewaltig. Hier wurde zwar schon einiges verbessert, bspw. gibt es nun ein Antragsformular und weitere Hinweise dazu, das gab es 2020, als wir den Antrag einreichten jedoch noch nicht.
Neben verbesserter Kommunikation fordern wir weiter eine sachliche Trennung im Genehmigungsverfahren. So empfehlen wir, erst das pädagogische Konzept zu genehmigen, dann hat man hierfür bereits eine Verbindlichkeit und kann mit allen weiteren Punkten darauf aufbauen. So ist es in anderen Bundesländern bereits gang und gebe.
In unserem Fall zahlen wir schon seit einigen Monaten Miete für unser Schulgebäude, da wir mit einer Genehmigung rechneten, erfuhren aber erst im Juni von der Ablehnung. Das muss dringend geändert werden.
Sie erwähnten, dass Sie die Ablehnung vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erhielten. Welche Gründe wurden Ihnen für die Ablehnung gegeben und wie reagieren Sie darauf?
Ulrike Weißbach: Eine Ablehnung wird erteilt, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Uns wurde unter anderem fehlende Gleichwertigkeit gegenüber den staatlichen Schulen unterstellt. Das ist schwierig zu argumentieren, finden wir. Einerseits haben wir die Freiheit, Unterricht, Zeitstrukturen, Stundentafeln anders zu organisieren. Andererseits führt eben dieses „Andersgestalten“ für das MBJS, nicht zur Gleichwertigkeit. Ich zitiere hier gern den Bundesverband der Freien alternativen Schulen, den wir als Mitglied um eine Stellungnahme gebeten hatten: „Das MBJS hat in seinem Ablehnungsbescheid eine aus unserer Sicht zu starke Anlehnung an die Vorgaben für staatliche Schulen vorgenommen. Weder die Kontingentstundentafel noch der Rahmenlehrplan sind verbindlich für Ersatzschulen und dürfen dies auch nicht durch die Hintertür der Gleichwertigkeit werden. Das BVerfG hat immer wieder die Bandbreite der pädagogischen Wissenschaft als Orientierung für Genehmigungen vorgegeben (siehe z.B. Beschluss vom 16. Dezember 1992). Pädagogische Vielfalt ist ein zentrales Element der verfassungsrechtlich verankerten Freiheit zur Errichtung einer Privatschule. Wir möchten das MBJS daher dringend auffordern, die eigenen Einschätzungen vor diesem, auch im Brandenburgischen Schulgesetz (§117 Abs. 1 und 2) verankerten, Maßstab zu überprüfen.“
Weiter nennt das MBJS nicht alle Gründe die zur Ablehnung führten, bzw. wir gehen davon aus, dass nicht alle Anforderungen geprüft wurden. Das ist in unseren Augen ein echtes Unding. Nach über vier Jahren Antragsverfahren (zweimal konnten wir den geplanten Start nicht halten und mussten verschieben), kennen wir noch immer nicht alle Gründe die zur Ablehnung geführt haben könnten und müssten bei einem neuen Antragsverfahren quasi bei Null beginnen.
Nebenbei erwähnt, kostet der Ablehnungsbescheid 1.700 Euro. Das ist nicht akzeptabel. Darüber informierten wir bereits die bildungspolitischen Sprecher*innen der Fraktionen im Landtag und baten um Unterstützung.
Zu Ihrer Frage wie es nach der Ablehnung weiter geht, kann ich Ihnen berichten, dass wir uns im Rechtsstreit befinden. Leicht ist uns diese Entscheidung nicht gefallen, möchte man ein so wunderbares Projekt nicht mit einem Rechtstitel beginnen. Leider ist aber auch dies keine Seltenheit. Wir warten nun auf das Ergebnis von unserem Eilverfahren und sehen dann weiter. Noch immer sind wir voller Energie und Leidenschaft und brennen von ganzem Herzen für unsere Immerkind Schule.
Der Brief erwähnt eine starke Gemeinschaft von Eltern, Schülern und Unterstützern. Wie hat diese Gemeinschaft auf die Ablehnung reagiert und wie wird sie in Ihrem Plan, die Schule weiter zu etablieren, beteiligt sein?
Ulrike Weißbach: Es gibt viele Familien und Unterstützer*innen, die uns von Anfang an begleiten. Nachdem uns der Ablehnungsbescheid zugestellt wurde, haben wir die Immerkind Eltern telefonisch informiert. Das waren natürlich keine leichten Gespräche. Viele Familien und Kinder waren voller Hoffnung einen Schulplatz an der Immerkind Schule ergattert zu haben. Viele Eltern dankten uns dennoch, dass wir uns auf den Weg gemacht haben, die Bildungslandschaft zu verändern. Es gab viele Nachrichten, die Mut machten.
An dieser Stelle möchte ich noch erwähnen, dass es wenig freie Schulen in unserer Region gibt. Längst kann der Bedarf an Schulplätzen an freien Schulen nicht gedeckt werden. Fast wöchentlich telefoniere ich mit interessierten Eltern. Über hundert Familien haben bereits ihre Kinder bei uns vorangemeldet. Der Bedarf an alternativen Schulformen ist definitiv da.
Wir haben jedenfalls unsere Eltern und Interessierte über den Stand der Ablehnung informiert und darüber, dass wir uns im Rechtsverfahren befinden, dessen Ausgang momentan noch ungewiss ist. Wenn hier etwas Klarheit herrscht und wir wissen, wie wir weitermachen können, werden die neuen Aufgaben verteilt. Die Immerkind Eltern haben eine wichtige Rolle an der Immerkind Schule. Sie übernehmen ebenso, wie alle anderen, wichtige Aufgaben und tragen Verantwortung für das Gelingen, bspw. bei der Renovierung unseres Schulgebäudes. Sie bringen sich mit ihren Kompetenzen ein und bereichern unseren Schultag mit Initiative, Fachwissen, tollen Hobbys und unterstützen unsere Gemeinschaft.
Schließlich, welche nächsten Schritte planen Sie für die Immerkind Schule, und was können Menschen, die Ihre Mission unterstützen möchten, tun, um zu helfen?
Ulrike Weißbach: Ganz konkret warten wir auf den Ausgang des Eilverfahrens. Dann setzen wir uns im Gründungskreis zusammen und entscheiden gemeinsam wie es weitergeht. Bis dahin versuchen wir den Sommer etwas zu genießen und hoffen weiterhin auf Unterstützung. Insbesondere unsere finanzielle Situation gestaltet sich momentan sehr schwierig – so lang das Verfahren läuft, möchten wir unbedingt das Gebäude halten. Dafür und für viele andere kleine Dinge brauchen wir stetig Geld. Wer uns also finanziell unterstützen möchte, kann das gern über https://gofund.me/b0584f79 tun, oder direkt eine Spende auf unser Konto überweisen. Wir freuen uns wirklich über jeden Euro. Den ersten Monat konnten wir so schon finanzieren. Weitere müssen folgen.
Auf unserer Website www.immerkind.net informieren wir auch über weitere Unterstützungsmöglichkeiten. So freuen wir uns immer über Lernpat*innen, Mitgründer*innen, Bürgen (für unseren Kredit), Ideengeber*innen, Interessierte und Menschen die unsere Idee weitertragen und von uns erzählen.
Vielen Dank für das Gespräch! Interview OO