Beim Dahme-Ufer Nord scheiden sich die Geister

Der KaWe-Kurier bat die fünf Kandidaten für das Bürgermeisteramt in Wildau um eine Stellungnahme

Das große Interesse, dass die Infoveranstaltung zu den Altlasten am Dahmeufer Nord trotz der großen Hitze bei den Wildauern fand, bewog den KaWe-­Kurier dazu, die fünf Bürgermeisterkandidaten explizit zu dieser Problematik zu befragen. In den Standpunkten werden nicht nur unterschiedliche, sondern konträre Positionen sichtbar.

Prof. Dr. Lásló Ungvári:

Ideologie und Demagogie können bei diesem Thema keine Grundlage der Betrachtung sein – hier wird dringend ein sachliches und realpolitisches Herangehen mit Darlegung der vollen Wahrheit erforderlich. Was haben wir? Wir haben eine stark kontaminierte Bodenfläche entlang des Flussufers. Was muss geschehen? Eine Dekontaminierung ist (mit zunehmender Verschärfung der Umweltgesetzgebung) unabdingbar notwendig. Die Art der Nachnutzung der Fläche bestimmt die Art und die Kosten der Sanierung (Dekontaminierung). Die teuerste Sanierung wäre dann, wenn die Fläche danach als Park oder freigelegte Fläche genutzt werden würde. Die Kosten lägen da nach Expertenschätzungen bei etwa 25 Millionen Euro und dabei ist noch keine Spur vom Park vorhanden. Die Kosten der Einrichtung des Parks kämen noch darauf. Bei einer baulichen Nachnutzung würden die Kosten in Abhängigkeit von der Art des Baus unterschiedlich, aber niedriger ausfallen als bei einem Park. Zurzeit besteht das erste Mal in der Geschichte die Chance, dass die Kosten der Dekontamination bei einer baulichen Nachnutzung der Fläche voll von dem Investor der zu planenden Bauten übernommen werden. Mehr noch: Der Investor stellt 30 Prozent der Gesamtfläche im dekontaminierten Zustand der Stadt (WiWO) zur Verfügung, wo die Stadt dann kostengedämpfte (früher soziale) Wohnungen errichten könnte. Würde die Stadt Abstand vom bereits begonnenen Bauvorhaben nehmen, so ­bestünde sofort die Sanierungspflicht durch die Stadt. Eine solche Chance nicht zu nutzen, wäre eine Entscheidung gegen die Zukunft, gegen unsere Kinder und Enkelkinder. Die Chance zu nutzen, bedeutet wiederum die Rückgabe des Geländes an die Bürgerinnen und Bürger von Wildau.

Martin Stock

Die Diskussion zum Dahme-Nordufer wurde ohne Not von außen eingeführt und wird fast zur zentralen Frage in der Wahl zum Bürgermeister. Die Entscheidungsoption liegt bei der SVV und hat nichts mit der aktuellen Wahl zu tun. Als Bürgermeister werde ich mich in dieser Frage enthalten. Ich habe dazu eine persönliche Meinung, aber als Verantwortlicher für die Umsetzung eines Mega-Projektes muss ich ­neutral sein. Nein, es muss dort jetzt nicht „etwas entstehen“. Wir können ohne Zeitdruck die Diskussion wieder aufnehmen, wenn unsere liegen gebliebenen „Hausaufgaben“ erledigt sind. Auch die Frage einer vermeintlich vertanen Chance der Dekontaminierung zieht nicht, denn auch dies kann nach der politischen Einigung auf einen Projektvorschlag immer noch stattfinden. Für mich gibt es keine stichhaltige Begründung dafür, warum Wildau zwingend wachsen muss. Vielleicht tut es der Stadt sogar gut, wenn es so bleibt, wie es ist, dafür aber die Lebens- und Wohnqualität steigt. Ich werde als Bürgermeister gemeinsam mit der Verwaltung einen Vorschlag unterbreiten, der das Areal als „Natur-, Energie- und Bildungs-Standort“ entwickelt und damit einen wertvollen ökologischen Standort naturnah erhält. Hier sollen verschiedene alternative Energieträger (u.a. Moderne PV-Technik, Flower Turbines, Anlagen zum Wassermanagement usw.) angesiedelt werden, die in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen erprobt werden. Es gibt hierzu erste sehr positive Gespräche und ziemlich gute Chancen, diese Entwicklung fördern zu lassen und damit auch die Kontamination des Bodens im Rahmen des Projektes zu eliminieren. Ich habe die Vision einer energieautarken Kommune, die ihre Einwohner wirksam entlastet.

Axel Corte:

Ich bin ganz klar für die Sanierung des betroffenen abgesperrten, hochkontaminierten Grundstücks von gefährlichen Altlasten und die Beseitigung von nicht nutzbaren Bauruinen zum Schutz der Natur und für die Entfernung des Zaunes so schnell wie möglich! Altlasten sind nicht vererbbar. Die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum und die Vermeidung von unnötigen Schulden sind die aktuell dringend zu lösenden Aufgaben. Und das wenn möglich, zunächst nicht auf »gesunden und unbebauten« Gelände. Die Gelegenheit ist da! Sie bietet sich durch einen Investor, welcher kostenneutral eine kontaminierte und nicht nutzbare Fläche saniert und für eine weitere Bebauung weiterentwickelt. Dadurch werden schon heute gleichzeitig die Probleme der Wohnungsnot und die der kostenneutralen Altlastenbeseitigung gelöst. Dafür müssen keine Gelder der Stadt aufgebracht werden und können für weitere Projekte genutzt werden. Die Fläche ist wasserseitig geeignet als barrierefreier Wanderweg für alle, mit Beleuchtung und Bänken sowie großzügiger Natur-, Freizeit- und Gastronomiefläche. Straßenseitig bietet sich die Gelegenheit, die Baulücke mit einer Wohnbebauung und Gewerberäumen im Stile der Schwarzkopffsiedlung zu schließen. Seit längerem ist es in Wildau nahezu unmöglich, eine Wohnung zu bekommen. Die Kosten für neuvermieteten, auch einfachen Wohnraum steigen grenzenlos. Mit einem schnellen Neubau von Wohnungen wird die Lage etwas entspannt. Der gefundene Investor, welcher nachweisen konnte, solch schwierige Projekte umzusetzen, hatte sich als Einziger bereiterklärt, dieses Projekt zu entwickeln. Es wurden bereits Vorverträge geschlossen und Investitionen für die Planung getätigt. Diese nun zu kippen, wäre unseriös.

Enno von Essen:

Seit mindestens 100 Jahren liegen am Dahmeufer Altlasten im Boden. Und jetzt, ganz plötzlich, sollen diese saniert werden müssen. Genau in dem Moment, wo ein Investor vor der Tür steht, der dort Luxus- – Entschuldigung – „bezahlbaren“ Wohnraum bauen möchte. Grund genug einmal nachzuschauen. In den entsprechenden Bodenschutzgesetzen steht dazu nur, dass eine Gefahr abgewendet werden müsse. Das geschieht durch die Umzäunung. Der Uferweg bleibt dabei frei, die Fläche zunächst nicht mehr betretbar. Wenn wir dort Baurecht schaffen, bekommt der Investor das „vermeintlich attraktivste Grundstück der Stadt“ nach aktuellem Vertragsstand zu einem beinahe lächerlich niedrigen Kaufpreis. Zur Sanierung wird dann die im Moment schützende Torfschicht durchbohrt. Hoffen wir, dass wir damit keine Löcher in die Büchse der Pandora bohren. Wir wissen schon heute, dass wir im Jahr 2030 weder genügend Grundschulplätze noch genügend Ärzte noch eine passende Verkehrsführung haben. Die Stadt selbst hat das Geld nicht, die Infrastruktur entsprechend nachzurüsten. Hier rächt sich nun die Scheuklappenpolitik der letzten 15 Jahre: Bauen, bauen, bauen – aber keine adäquaten Anpassungen der Infrastruktur vornehmen. Selbst wenn – Fachkräfte wachsen nicht aus dem Boden! Wer das auf der Einwohnerversammlung ansprach, durfte sich kürzlich in einem Video als „Prolet“ beschimpfen lassen. Wo sind wir eigentlich hingekommen? Fazit: Wir können dieses Gelände jetzt nicht bebauen. Es geht nicht. Wir müssen erst unsere Infrastruktur anpassen. Dazu benötigt unsere Stadt ein Ziel. Einen Plan, wie es weitergeht, den ich gerne mit Ihnen, den Einwohner Wildaus, zusammen entwickeln würde.

Frank Nerlich:

Die Bebauung des Dahme-Nordufers hat für mich nicht die erste Priorität. Aus meiner Sicht haben wir derzeit nachfolgende Fragen zu klären: Erstens – Um- und Ausbau der Schule: Direktorin Susanne Blischke hatte im letzten Bildungs- und Sozialausschuss auf Platzprobleme und den ungeeigneten Essensraum verwiesen. Dieses Thema hat höchste Priorität. Schon im nächsten Jahr wird es eng werden. In diesem Zusammenhang melde ich bereits heute den Bedarf für eine zweite Grundschule an. ­Zweitens – Energie und Wildorado: Die Energiekosten werden sich mit heutigem Stand vervierfachen. Das bedeutet für unsere Bürgerinnen und Bürger harte Einschnitte. Ebenso für unsere stadteigenen Gesellschaften. Das Wildorado hat im letzten Jahr ein Minus von 1,1 Millionen Euro eingefahren. Im Gespräch mit den Nachbargemeinden wurde eine interkommunale Betreibergesellschaft vorgeschlagen. Dieses ist kurzfristig zu verfolgen, so dass die Kostenlast verteilt und das Wildorado weiter bestehen bleiben kann. Auch der Einsatz von Photovoltaik und Fernwärme – siehe WGW – ist kurzfristig zu prüfen. Vorstand Carsten Kröning bietet eine Energiegenossenschaft an, ein innovativer Ansatz, wie ich finde. Drittens – Vision von Wildau: Bevor wir weiter bauen, muss der Stadtentwicklungsplan fortgeführt werden. Wir können nicht immer dort bauen, wo gerade Platz frei ist. Wir müssen uns um unsere Stadtentwicklung kümmern, dann ergeben sich die Plätze für Wohnen, Gewerbe, Sport und Kultur von selbst. Das trifft auch für das Dahme-Nordufer zu. Es sind Alternativen zu prüfen: Bundesbehörden, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft sind in dem Prozess einzubeziehen, auch dort sind Geld und Ambitionen vorhanden. Schlussendlich müssen alle Alternativen von einem unabhängigen Büro geprüft werden. Die Lösung muss gut für Wildau und seine Einwohnenden sein. Der Zeitablauf wird mindestens ­mittelfristig sein. RED