Autonomes Fahren: In der kleinen Prignitz-Stadt Wusterhausen/Dosse wird gerade Pionierarbeit für den öffentlichen Nahverkehr der Zukunft geleistet
Kay Stilt ist jetzt ein Operator. Eigentlich ist der Mann aus dem Prignitzer Kleinstädtchen Wusterhausen/Dosse ja Busfahrer. Aber weil dort in der Brandenburgischen Provinz gerade Revolutionäres im Gange ist, weil er dort seit Ende letzter Woche in einem Bus seinen Dienst verrichtet, der weder Gaspedal, Fahrersitz noch Lenkrad hat, ist er nun kein klassischer Fahrer mehr, der in seinem Führerstand die Hand am Steuer hat und Knöpfe für Türen und Signale bedient.
Der steht zwischen den zwei Sitzbänken in der Mitte des kleinen Fahrgastraumes, eine Fernbedienung baumelt um seinen Hals gehängt vor seinem Bauch. Über die hat er jederzeit Zugriff auf zwei Joysticks. Mit denen kann er per Hand die Steuerung übernehmen, um Hindernisse wie falsch geparkte Autos sowie Liefer- oder Müllfahrzeuge zu umschiffen. Außerdem ist im Bus ein Schalter installiert, mit der zusätzlich zwischen manuellem und Automatikbetrieb gewählt werden kann. „Der Bus bremst zwar ab, wenn sich ihm irgendetwas in den Weg stellt, aber selbst ausweichen kann er noch nicht“, erklärt Kay Stilt. Auch er kann den Bus jederzeit per „Soft- oder Notstopp“ zum Stehen bringen, wenn ein Fußgänger, Radfahrer oder überholendes Auto die Spur unachtsam kreuzt.
So steht Sicherheit an oberster Stelle des Modellversuchs, der von der Bundesregierung mit gut 1,5 Millionen Euro gefördert wird und allen Beteiligten während der Testphase neue Erkenntnisse zur Entwicklung des autonomen Verkehrs liefern soll. „Wir sehen solche neuen Verkehrssysteme als eine große Chance, um der Mobilität auf dem Land einen entscheidenden Schub zu geben“, begründet der Geschäftsführer der regionalen Verkehrsgesellschaft Ulrich Steffen das außergewöhnliche Engagement seines 130-Mann-Betriebes. Für ihn ist es noch ein langer Weg, bis tatsächlich der erste völlig selbständig fahrende Bus die Menschen von A nach B befördert. „Aber ich bin davon überzeugt, dass wir hier Pionierarbeit leisten, um gerade das Rufbussystem zur Überwindung der sogenannten letzten Meile weiter zu entwickeln.“ Irgendwann soll es keine Science-Fiction-Vision mehr sein, dass man sich für die Fahrt vom entlegenen Dorf per Smartphone ein bezahlbares Shuttle ruft.
Am Projekt sind neben dem Bund und dem Land Brandenburg sowie den kommunalen Behörden vor Ort der französische Fahrzeughersteller EasyMile und Wissenschaftler der Technischen Universitäten Berlin und Dresden beteiligt. Rund zwei Jahre Vorbereitungszeit liegen bereits hinter den Forschungs- und Entwicklungsteams. Sie haben das futuristisch anmutende Elektrofahrzeug mit einem System aus Sensoren, Antennen und GPS-Sendern ausgestattet. Mehrere Busfahrer, nein Operator, wurden für die Bedienung des Fahrzeugs geschult, das auf eine Maximalgeschwindigkeit von 15 km/h gedrosselt ist. Es wird auf einer rund 3,5 Kilometer langen Strecke 17 Haltestellen bedienen. Damit entsteht Deutschlands längste Teststrecke, auf der ein autonomer Shuttle im öffentlichen Raum unterwegs ist. Der Bus verkehrt zunächst von Montag bis Freitag in der Zeit von 8 bis 18 Uhr. Die Fahrten sind kostenlos. TM