Der Mann mit dem Zipfelchen

Am Sonntag schiebt uns der Nikolaus was in die Schuhe. Was mich schon lange interessiert: Wo wohnt der überhaupt? Und wo der Weihnachtsmann? Als Kind glaubte ich, sie seien das Jahr über am Nordpol. Dort, wo die Eskimos wohnen. Und lesen wie diese ein Buch. Wie ich darauf komme? Weil es so schön im Liede heißt: „Alle Kinder lernen lesen, Indianer und Chinesen, selbst am Nordpol lesen alle Eskimos.“ In vielen deutschen Grundschulen wurde bisher dieses Lied am Tag der Einschulung von den älteren Kindern als Begrüßung für die erste Klasse gesungen. Auch in Kinderbüchern, die vom ersten Schultag handeln, kommt das Lied vor. Aber Eskimos zu sagen, das geht ja heute gar nicht mehr. Das ist rassistisch! Aber so was von! Postulieren jedenfalls die Sprachmoralisten und Sprachmoralistinnen. Antirassismus-Initiativen kritisierten, das Wort verfestige „postkoloniale Stereotype und fördere dadurch Alltagsrassismus“. Die Zeile „Selbst am Nordpol lesen alle Eskimos“ würde diese Gruppen abwerten, indem sie betont, dass die Menschen sogar dort am Nordpol das Lesen erlernen können. So ist das auch, wenn man von Indianern spricht. Die Schulbuchreihe „Die Indianer“ ist auf Druck von sogenannten political correctness-Eltern umbenannt worden. In die Indigenen Amerikas. Verstehen alle Kinder. Und Squaw als Bezeichnung für eine indianische Frau ist jetzt ein Schimpfwort. Es sind alles Indigene. „Alle Kinder lernen lesen, selbst am Nordpol alle Indigenen.“ Viele Menschen lesen ja, wenn sie überhaupt lesen, nur noch Facebook. Die Supermarkt-Kette Penny hatte auf Facebook auf eine Schokoladenhohlfigur, eine Art Nikolaus-Weihnachtsmann, in ihren Geschäften aufmerksam gemacht. Das nennt sie „Zipfelmännchen“. Das erboste die Facebook-Nutzer gewaltig. Zipfelmännchen statt Weihnachtsmann oder Nikolaus! Sie sehen das Weihnachtsfest und das Abendland in Gefahr. Der Mann mit dem Zipfelchen ist zudem eine Verhohnepiepelung des Mannes! Das kommt nicht in die Tüte! Und kommentieren: „Ihr könnt euch euer Zipfelmännchen in den Ar… schieben, ich kauf nur da, wo es Nikoläuse und Weihnachtsmänner gibt“. Und weitaus Ordinäreres. Hirnrissig. Der Riss, der durch unsere Gesellschaft geht, zeigt sich nun wohl auch dabei, welche Schokoladenfigur wir im Dezember kaufen. Ist mir egal, Hauptsache sie schmeckt. Und wenn es eine Schokoladenweihnachtsfrau ist und man sie dann vom Stanniolpapier befreit, sie quasi auszieht, und sie dann genüsslich vernascht – ist das dann gleich wieder Sexismus? Doch wo wohnt nun der Nikolaus und wo der weiße alte Mann, der Weihnachtsmann? Nein, nicht bei den Eskimos! Dort, wo die Indigenen leben! Egal, Hauptsache, sie finden den Weg zu uns. Wenn nicht alternative Deutschlandbewahrer auf die Idee kommen, die beiden bärtigen Alten sollen da bleiben, wo sie herkommen: Am Nordpol. Und überhaupt.