Herkunft und Lebensweise der Sorben
Während der Völkerwanderung im 6. Jahrhundert siedelten sich slawische Stämme aus dem heutigen Russland, der Ukraine und Polen zwischen Ostsee und Erzgebirge an. Im 8. und 9. Jahrhundert bildeten die Ober- und Niederlausitz ein bevorzugtes Siedlungsgebiet. Die Sorben, die in der Niederlausitz bis 1945 i. d. R. ausschließlich als „Wenden“ bezeichnet wurden(1), waren ein Minderheitsvolk. Dessen Angehörige gingen im 14. und 15. Jahrhundert in den mittelalterlichen Städten wie Lübben, Calau, Guben, Bautzen, Kamenz, Cottbus oder Beeskow städtischen Berufen vor allem im Handwerk nach. So arbeiteten sie als Schuhmacher, Bäcker, Fleischer, Tuchmacher, Schlosser, Gerber, Schneider oder Goldschmied. Ein großer Teil der Sorben lebte während dieser Zeit jedoch vorwiegend in abgelegenen Heidelandschaften in Dörfern und im Spreewald. Hier waren sie Schäfer, Hirten, Abdecker, Woll- und Leinenweber, Spielleute, Barbiere oder einfache Bauern und lebten vom Fischfang, vom Verkauf von Pelzen, Holz, Schuhen, bäuerlichen Produkten, Haustieren und Weberwaren. Ihre überwiegend als Randgruppe wahrgenommene gesellschaftliche Zugehörigkeit resultierte aus ihrer Sprache und Kultur, die sich auf einem heidnischen und volkstümlichen Götterkult gründete und aus Sicht der zum Christentum bekehrten Bevölkerung als unkultiviert galt. Sie widersetzten sich lange der Christianisierung(2). Erst im Prozess ihrer Bekehrung und Sozialisierung vermittelte man den Sorben ein christliches Weltbild, in dessen Rahmen soziale Verhaltensnormen wie sich um das Wohlergehen anderer zu kümmern und die Unverletzlichkeit des Lebens des Einzelnen zu respektieren. Zugleich wurden ihnen Werte wie Geduld, Demut, Vergebung, Treue und das Empfinden von Mitleid für andere beigebracht. Aufgrund der außerhalb der Städte liegenden Siedlungsgebiete und der fehlenden Möglichkeiten des ökonomischen und politischen Aufstiegs zur Bildung einer aktiven Mittelschicht verfestigte sich die aristokratisch geprägte Grundherrenhierarchie. Die Bauern waren leibeigene, an die Scholle gebundene Untertanen, die zu umfangreichen Diensten und Abgaben verpflichtet waren. Noch härter als für die Bauern war die Fronpflicht für das Gesinde, welches sich aus den Bauernkindern rekrutierte. Die Mägde und Knechte hatten für die Gutsherrschaft Zwangsdienste zu leisten und waren rechtlos. In Folge dieser Lebensumstände und ihrer ausgeprägten Sesshaftigkeit blieben die Sorben im Wesentlichen unter sich, weshalb auch der Inhalt ihrer Kultur auf den engen Umkreis des dörflichen Lebenskreises beschränkt blieb. Letztlich bildeten sie deshalb eine in Stagnation verharrende Volksgruppe am Ende der Respektkette. Technische Innovationen in Landwirtschaft und Mechanik, vor allem in der Nutzbarmachung neuer Energiequellen wie Windmühlen, das Wasserrad, der schwere Pflug und das Pferdegeschirr, erreichten sie nur teilweise und zögerlich. Als aufgrund der Abwanderung der armen Landbevölkerung in die Städte der Konkurrenzdruck auf die städtische Bevölkerung wuchs, wurden die Slawen wegen ihrer sozialen Herkunft rechtlich vom Zunfthandwerk ausgeschlossen(3).
Sorbisches Leben im Spreewald
Im Spreewald mit seinen angrenzenden Gebieten hat sich die Eigenständigkeit des sorbischen Lebens, Arbeitens, Wohnens und der Kultur aufgrund einer relativen Abgeschiedenheit bis in die heutige Zeit am sichtbarsten erhalten. Das dem Spreewaldbesucher am häufigsten vor Augen stehende Bild sind die Vielzahl von Fließen und Kanälen, auf denen der aufrecht stehende Fährmann den flachen Kahn unter schattigen Bäumen mittels einer langen Holzstange – dem „Holzrudel“ aus Eschenholz – stakend an kleinen Häusern, Blockbauten, aufgeschichtetem Erlenholz, Hütten, pyramidenförmigen Heuhaufen, am Wasser liegenden Fischkästen und Blumenbeeten vorbei führt, Wehre und kleine Schleusen passiert, bevor er die Anlegestelle erreicht. Die Äcker und Wiesen, umgeben von Fließen und Gräben, sind nur mit dem Kahn zu erreichen. Der Einsatz moderner landwirtschaftlicher Technik ist auf den feuchten und leicht moorigen Böden, auf denen zumeist Gemüse gedeiht, kaum möglich. Das Betreiben von Feld- und Viehweidewirtschaft ist aufgrund der Vielzahl vorhandener Inseln unwirtschaftlich. Wegen der fehlenden Trittfestigkeit des Bodens verbleibt das Vieh in Ställen und muss dort mit Heu versorgt werden. Unerlässliche Arbeitsgeräte sind Hacke, Spaten, Sense und Sichel, gebräuchliche Transportgeräte die Schubkarre, die Trage und aus zumeist Weidenruten geflochtene Körbe beim ertragreichen Ernten von Gurken, Mohrrüben, Kürbisse, Porree und Meerrettich. Die Blockhäuser und Ställe sind wegen des moorigen Bodens punktförmig auf Feldsteinen gesetzt, die Dächer mit Schilfrohr gedeckt, und besitzen aus statischen Gründen kleine Grundrisse, was vor allem heute noch in den Museumsdörfern Lehde und Leipe zu betrachten ist. Ein klimatisches Wesensmerkmal des Spreewaldes ist die übermäßig hohe Boden- und Luftfeuchtigkeit, die oftmals Nebel verursacht. In der Vergangenheit machten den Bewohnern zudem Winterhochwasser, stark schwankende Pegelstände und hohe Grundwasserstände zu schaffen. Gegenwärtig steigt aufgrund des Klimawandels und der mit dem Kohleausstieg verbundenen Flutung von Tagebauen jedoch die Gefahr von Wassermangel und Austrocknung des Spreewaldes, was eine ökologische Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zur Folge hätte.
Sorbische Bräuche, Trachten, Mythen und Volkssagen
Zur Lebensweise und Identitätsbestimmung gehören Geselligkeit, Tanzfreude und Zusammenhalt des kleinen sorbischen Volkes. Viele Heimatfeste und Traditionen wie das Maibaumaufstellen, das Osterfeuer, der Zapust (Wendische Fastnacht) oder das Erntedankfest mit dem Hahnenschlagen enden mit Festumzügen und Tanzvergnügen und werden auch heute noch gefeiert. Das zuletzt genannte Erntedankfest besitzt eine besondere Bedeutung. Mit dem Einbringen des Korns ist die Wachstumsperiode beendet. Dieser Zeitpunkt wird im Rahmen des Erntefestes mit dem ältesten sorbischen Erntebrauch, dem Hahnschlagen, gefeiert. Der Hahn, Symbol für Fruchtbarkeit und Fortpflanzung, hat zum Sommerausklang seine Schuldigkeit getan. Er wird unter Korngarben versteckt, damit er für das nächste Frühjahr neue Kräfte sammeln kann. Die entsprechenden Garben werden mit Blumen und Bändern geschmückt. Die Getreidemäher, denen Ährensträuße an die Bekleidung angesteckt werden, und die jungen Mädchen, die auf dem Kopf Erntekränze tragen, umtanzen den unter den Garben sitzenden Hahn und schlagen symbolisch auf die Garbenpyramide. Die am Dorfanger an einem hohen Mast hängende, aus geflochtenen Ähren gebundene Erntedankkrone symbolisiert den Dank für das tägliche Brot. Die von den Männern und Frauen getragenen Fest- und Tanztrachten unterscheiden sich regional voneinander. Dies hat historische Gründe. Im Rahmen des Zwanges zur Untertänigkeit der Tagelöhner und Mägde galt auf den mittelalterlichen Feudalgütern die Verpflichtung, nur solche Kleidung zu tragen, deren Stoff in dem Zuständigkeitsbereich des betreffenden Feudalherrn hergestellt worden war. Neben Bräuchen, Liedern und Tänzen gehören Dorfgeschichten, Märchen und Sagen zur sorbischen Kultur. Sie sind Ausfluss von natürlichen und sozialen Lebensbedingungen, sinnlichen Erfahrungen und Naturwahrnehmungen. Daher spiegelt sich in ihnen die Kultur und Geschichte sowie die Gefühls- und Gedankenwelt der Menschen in christlichen und abergläubischen heidnischen Motiven wie Hausgötter, Dämonen und Helden wider. Eine der im Spreewald bekanntesten Volkssagen ist die des Zaubermeisters und Müllers „Krabat“ von Otfried Preußler. Als junger Müllerbursche erlernt Krabat zusammen mit elf anderen Gesellen auf einer Mühle in der Nähe von Hoyerswerda neben dem Müllerhandwerk die schwarze Magie. Der Meister tötet jedes Jahr in der Silvesternacht einen seiner Gesellen und stellt einen neuen jungen Nachfolger ein. Durch die Liebe zu einem Mädchen und seiner zwischenzeitlich erlernten Zauberkünste tötet Krabat den verhassten Meister, befreit letztlich alle Gesellen und setzt seine Zauberkraft für das Wohl der sorbischen Bauern ein. Auch der Roman „Die schwarze Mühle“ von Jurij Brězan beruht auf einer sorbischen Volkssage. Gemeinsam stehen im Mittelpunkt der Sagen Mühlen, die Kornernte und das Brot. Die Ursache dafür liegt in dem seit dem 12. Jahrhundert geltenden Recht des Grundherrn zur Genehmigung des Baus und Betriebes einer Mühle, die wegen der zu ihrem Betreiben notwendigen Naturkräfte Wind und Wasser außerhalb von Dörfern an abgelegenen Orten errichtet wurde. Da Bau-, Betriebs- und Unterhaltungskosten hoch waren, verpachtete der Grundherr die Mühle an einen Mühlenbauer bzw. Müller und legte für die Bauern der umliegenden Dörfer gemäß des „Mühlenbanns“ fest, dort ihr Getreide mahlen zu lassen. Damit minimierte er das Geschäftsrisiko des Mühlenbetreibers und sicherte sich dessen Gefolgschaft. Gleichzeitig ermächtigte er diesen, von den Bauern den Zehnten einzutreiben. In Verwirklichung dieses Auftrages erschien es den Bauern, dass sie für ihr Korn zu wenig Mehl erhielten. Zudem streckten diebische Müller das Mehl, um sich selbst zu bereichern. Solche Müller und ihre Mühlräder waren „mit allen Wassern gewaschen“. Die Abgeschiedenheit der Mühle, die soziale Vorrangstellung des Müllers, die Größe der Mühle mit ihrer technischen Ausstattung zur Nutzung von Wind und Wasser sowie die Verwandlung von Korn zu Mehl faszinierte Menschen und bot Raum für Fantasien, Legenden und Theaterpossen.
Text und Foto: von Ulrich Dose
Quellen:
Friedrich Redlich, Zum Sprachgebrauch in der Niederlausitz, Niederlausitzer Studien, Heft 2, 1968, S. 49
Winfried Schich, Zur Diskriminierung der wendischen Minderheit im späten Mittelalter, Europa Regional 10 (2002) 2; S. 58 (veröffentlicht im Internet)
ebenda, S. 59

