Eine Familie, zwei Generationen: Die Zernsdorfer Cathrin und Peter Meixner reden über ihren Alltag nach dem Mauerfall
Das Jubiläum „30 Jahre Mauerfall“ ist am 9. November Anlass zurückzublicken. Ein Konzertabend mit Zeitzeugen im Maschinensaal des Senderhauses auf dem Funkerberg Königs Wusterhausen erinnert an die friedliche Revolution und die aufwühlende Zeit danach. Generell halten viele, die das Ereignis miterlebten, das heutige Gedenken für zu kurz gegriffen. Die Nachgeborenen treten wiederum für mehr Nüchternheit ein. Cathrin Meixner aus Zernsdorf und ihr Sohn Peter stehen für diese unterschiedliche Sicht der Generationen. Ein Gespräch übers miteinander Reden und einander Zuhören.
Was fällt Ihnen als Erstes zum Datum 9.11.89 ein?
Cathrin Meixner: Der Mauerfall war ein einschneidendes Ereignis, trotzdem habe ich es verschlafen. Ich war im siebten Monat schwanger und hatte tags darauf Frühdienst. Theoretisch hätte ich morgens die Erste im Büro sein müssen. Tatsächlich waren alle Kollegen vor mir da. Von ihnen erfuhr ich, was passiert war.
Peter Meixner: Ich bin im Januar 1990 geboren. In meiner Geburtsurkunde steht „Deutsche Demokratische Republik“. Das ist mein DDR-Bezug. Mehr nicht. Das Mauerfall-Datum ist für mich vergleichsweise unbedeutend. Ich habe nie Einschränkungen erlebt und die Grenzen, auch nach Europa, sind offen, seit ich mich erinnern kann. Je älter ich wurde, je mehr ich in der Schule über die DDR gelernt und reflektiert habe, desto dankbarer bin ich dafür.
Cathrin Meixner: Ich war 1989 nicht unbedingt begeistert. Ich wusste, dass ich mein Kind allein erziehen und versorgen würde, und dass ich das in der DDR auch schaffe. Ich hatte Arbeit, es gab Krippen, es gab Unterstützung. Mit dem Mauerfall änderte sich alles. Plötzlich ging es um einen Amtsvormund für mein Kind, damals noch bundesdeutsches Recht für unverheiratete Mütter, die keinen Vater benennen konnten oder wollten. Dann wurde ich nach dem Babyjahr arbeitslos. Das war existentiell. Rückblickend bin ich froh, dass wir gut durch die Umbruchzeit gekommen sind und ich relativ bald wieder Arbeit fand.
Wie gehen Sie heute mit dem Jubiläum „30 Jahre Mauerfall“ um?
Cathrin Meixner: Das ist ein Medienereignis, das mich nicht anspricht. Die Würdigungen und Feierstunden gehen überhaupt nicht darauf ein, wie es den Menschen im Osten ergangen ist. Der Mauerfall spielt doch nicht nur zu runden Jubiläen eine Rolle. Er prägt uns seit drei Jahrzehnten. Das hat im Westen nur kaum jemanden interessiert, und viele Ostdeutsche haben sich dann dieser Sicht angepasst: Wir reden nicht miteinander, sondern übereinander.
Peter Meixner: Ich finde auch, man könnte die Feierlichkeiten weniger dramatisieren und nüchterner sehen. Dafür, dass es damals eine Bewegung von unten war, kommt das Jubiläum eher von oben. Meine Oma hat auf ihrer Schreibmaschine in den ersten Jahren nach dem Mauerfall eine Art Tagebuch getippt. Die Seiten habe ich später gelesen. Da stehen Sätze drin wie „Was wird aus uns und unserer Deutschen Demokratischen Republik?“ Die DDR bleibt Schulstoff, wird aber einen immer geringeren Platz einnehmen.
Wird in dem Maße die Ost-West-Herkunft auch irgendwann keine Rolle mehr spielen?
Peter Meixner: Bei mir tut sie das jetzt schon kaum mehr. Ich habe beruflich viel im Westen Deutschlands zu tun, da geht es eher darum, ob jemand deutsch tickt und gründlich plant oder amerikanisch tickt und einfach loslegt. Ich empfinde mich als Deutscher und Europäer. Ost oder West ist da kein Thema.
Cathrin Meixner: In meiner Generation ist die Herkunft auf jeden Fall noch relevant. Es gibt Situationen, da merke ich nach drei Sätzen, ob jemand aus dem Westen kommt oder aus dem Osten. Das lässt sich am Verhalten festmachen. Man lacht gemeinsam, verdreht an derselben Stelle des Gesprächs die Augen…
Was ist für Sie typisch west-, was typisch ostdeutsch?
Cathrin Meixner: Ein unbekümmertes, nicht immer begründetes Selbstbewusstsein ist für mich typisch westdeutsch. Diese „Hier bin ich, wer ist sonst noch da“-Haltung.
Peter Meixner: In Westdeutschland ist der Wohlstand länger gewachsen und der äußerliche Eindruck vielfach „hochwertiger“, finde ich. Männer, die im Sommer Jeans-Shorts und Socken in Sandalen tragen, habe ich im Westen noch nie gesehen. Das ist was Ostdeutsches.
Frau Meixner, welche Begegnung hätten Sie ohne den Mauerfall nicht erlebt?
Cathrin Meixner: Ich habe 1992 meinen Mann kennengelernt. Er stammt aus Flensburg. Er war der einzige unter meinen neuen West-Kollegen damals, der mir zugehört und sich für meine Sicht auf die Ereignisse interessiert hat.
2039 gedenken wir 50 Jahren Mauerfall. Sprechen wir dann noch über die Unterschiede oder eher von unseren Gemeinsamkeiten?
Peter Meixner: Das Datum 9.11.89 spielt in 20 Jahren keine große Rolle mehr, schätze ich, weil Deutschland dann für die meisten gefühlt immer eins war. Was wichtig bleibt, ist, dass ohne den Mauerfall kein „Spirit Europa“ hätte entstehen können, die Botschaft, dass Menschen etwas bewegen können, wenn sie mündig sind. Für meine Generation ist das ermutigend.
Die Fragen stellte Dr. Tanja Kasischke
#rueckblick30, der Abend zum 30. Jahrestag des Mauerfalls in Kooperation der Festspiele Mark Brandenburg mit dem Kulturbund Dahme-Spreewald, dem Heimatverein und dem Museum Funkerberg, ist am 9. November, 19 Uhr, im Maschinensaal des Senderhauses. Zu den Ereignissen damals, wie sich Königs Wusterhausen in den darauffolgenden Jahren entwickelte und veränderte, äußern sich unter anderem der ehemalige Bürgermeister und Brandenburger Justizminister Stefan Ludwig, Uwe Wolff, der bis 2014 dem Heimatverein vorstand, sowie Königs Wusterhausener*innen, die vorab interviewt wurden. Musikalisch einfassen wird den Abend das Programm „East and West“ (Ost und West) der Senziger Pianistin Danae Dörken. Zu hören sind Stücke von Grieg, Schubert, Chopin und Bartók. Karten im Vorverkauf gibt es unter www.festspiele-mb.de, Tel. 069/17297987, sowie im Musikladen Brusgatis, Bahnhofstraße 10, Telefon 03375/202515. Preis: 20 Euro, ermäßigt 8 Euro.