
Ein Besuch auf dem Testgelände der Bundesanstalt
für Materialforschung und -prüfung in Horstwalde
Mal dauerte es nur 12 Minuten, mal weit mehr als 20 – aber es passierte: Die brennenden Autos mit dem verbauten Erdgastank flogen in die Luft. In riesigen Feuerbällen und mit lautem Getöse wurden sie dabei förmlich pulverisiert.
Die gewaltigen Explosionen waren zum Glück nur das Ergebnis eines Großversuchs im geschützten Raum des Testgeländes Technische Sicherheit der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Horstwalde bei Baruth/Mark. Die Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker wollen damit dokumentieren, was passiert, wenn sich bei einem Unfall mit einem Erdgasauto ein Motorbrand entwickelt und anschließend alle Sicherungssysteme versagen. „Dies passiert selten, aber es ist trotzdem in der Realität geschehen“, erklärt der Leiter des Versuchsgeländes Dr. Kai Holtappels. Vor vier Jahren explodierte nach einem Unfall in Norddeutschland ein mit LPG-Gas betriebenes Auto. Dabei wurden zehn Feuerwehrleute verletzt, die bereits den Löschangriff gestartet hatten. Es entstand zudem erheblicher Sachschaden an der Technik. Tote waren zum Glück nicht zu beklagen.
Das Unglück nahmen die Materialprüfer vor knapp drei Jahren zum Anlass, in einer Reihe von Tests das Verhalten der verschiedenartigsten Tanks im schlimmsten Fall der Fälle – dem sogenannten „worst case“ – zu analysieren. Sie sprengten unverbaute und in Fahrzeugen installierte Gasbehälter in die Luft, nachdem sie zuvor alle Sicherungssysteme deaktiviert hatten. „Es geht hier vor allem um die Gesundheit der Einsatzkräfte, die zu solch einem Unfall gerufen werden“, sagt Kai Holtappels. Alle Tests wurden mit Spezialkameras aufgenommen. Um die verkabelten Tanks und Autos legten die Experten hochkomplexe Messfelder mit Sensoren und GPS-Sendern an. Drücke, Temperaturen, Flammenentwicklung und die Sekundenbruchteile der Explosionen, Flugentfernungen und -richtungen der Fragmentteile wurden minutiös erfasst. „Das sind riesige Datenmengen, die es jetzt im Einzelnen auszuwerten gilt“, sagt der Projektleiter Martin Kluge, der mit seinem Team aus sicherer Entfernung in einem Bunker das Geschehen auf dem Sprengplatz live verfolgen kann.
Denn auf dem 12 Quadratkilometer großen Testgelände unmittelbar an der südlichen Grenze zum Landkreis Dahme-Spreewald, das die dem Wirtschaftsbundesministerium unterstehende BAM nach der Wende übernommen hat, herrschen selbstredend höchste Sicherheitsstandards. „Wir gehen hier kein Risiko ein“, sagt Kai Holtappels, der von Haus aus Chemiker ist. Die Frauen und Männer, die auf den unterschiedlichsten Testfeldern und den Sprengplätzen forschen und arbeiten, kommen aus eigentlich allen Wissenschaftszweigen und Ingenieursrichtungen. Unter dem BAM-Motto „Sicherheit in Technik und Chemie“ schauen sie sich derzeit nicht nur die Gas- und Batterieantriebe von Autos sehr genau an. Die interdisziplinären Teams untersuchen zum Beispiel derzeit verstärkt, was neue umweltfreundliche, aber eben auch brennbare Kühlmittel im schlimmsten Fall mit Fahrzeugen wie zum Beispiel einem Campingwagen, mit Laborgeräten, Maschinen, Klimaanlagen und anderer Technik anrichten können. Ein weites Feld ist die Sicherheit von chemischen Anlagen. An einer Referenzbrücke beschäftigen sich die Forscher zudem mit allen Fragen rund um die Sicherheit von Brücken. Sie kümmern sich aktuell auch darum, welche Wärme- und Kraftentwicklungen Gebäudefassaden oder Fundamente von Offshore-Windkraftanlagen aushalten können bzw müssen. Im Areal im Kummersdorfer Forst steht zudem der weltweit modernste Fallturm. Mit seiner Hilfe können Lasten von bis zu 200 Tonnen, die aus einer Höhe von bis zu 35 Metern abstürzen, im freien Fall beobachtet werden. Dort werden zum Beispiel Castor-Behälter, die beim Transport von radioaktiven Materialien zum Einsatz kommen, unter Extrembedingungen geprüft.
Und dann ist da noch das Thema rund um die sichere Pyrotechnik. Wenn bald wieder zu Silvester millionenfach Raketen und Leuchtfeuer in die Luft geschossen werden, dann wurde dafür im Vorfeld auf den Sprengplätzen der BAM ganze Arbeit geleistet. Unzählige Feuerwerks-Baumuster wurden nach europaweit geltenden Normen auf Herz und Nieren getestet und entweder aussortiert oder mit einer Registriernummer für den Handel freigegeben. „Wir wissen sehr genau, was da für Kräfte walten und appellieren aus gutem Grund, nur zertifiziertes Feuerwerk zu verwenden“, sagt der 49jährige BAM-Cheftester Kai Holtappels.
TM