Freie Fahrt für Bus und Bahn?

Kostenloser Nahverkehr: Auch bei der RVS ist man überrascht vom Vorstoß der BUNDESREGIERUNG

Die Reaktionen reichen von Lachnummer oder Albtraum auf der einen Seite sowie Vision und Revolution auf der anderen. Die Bundesregierung, darunter das Kanzleramt und die Fachministerien Verkehr und Umwelt, setzt völlig überraschend den kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr auf die aktuelle politische Tagesordnung. Und das, nachdem das Thema keinerlei Rolle spielte in den wochenlangen, kleinteiligen Verhandlungen über ein neues Regierungsprogramm.

„Das kam schon überraschend, wir haben das bei uns im Betrieb bislang überhaupt noch nicht diskutiert“, sagt denn auch der Marketing-Chef der Regionalen Verkehrsgesellschaft Dahme-Spreewald mbH (RVS), Lutz Strohschein, im Gespräch mit dem KaWe-Kurier. Auch wenn der gegenwärtige Vorstoß der Bundesregierung mehr auf die deutschen Großstädte abzielt, um drohende Interventionen der Europäischen Union aufgrund der zu hohen Schadstoffbelastung durch Dieselfahrzeuge abzuwenden, ist ein Blick auf die Region des Dahmelandes durchaus spannend. Immerhin ist die RVS Partner im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, können RVS-Nutzer mit einem Fahrschein in Berlin und dem ganzen Land unterwegs sein.

Die RVS ist ein öffentliches Unternehmen, das sich zu 100 Prozent im Eigentum des Landkreises befindet. Knapp 200 Mitarbeiter kümmern sich im Unternehmen um die Mobilität von Einwohnern, Pendlern und Gästen zwischen Königs Wusterhausen und Schönefeld im Norden und Luckau und Lübben im Süden. Rund 120 Busse sind auf über 50 Linien und einem Streckennetz von gut 1400 Kilometern unterwegs. Dabei werden jährlich rund 6,5 Millionen Fahrgäste befördert. Der Umsatz bewegt sich bei 11 Millionen Euro. „Wir sind wie der ÖPNV generell ein Zuschussgeschäft, rund die Hälfte des Geldes kommt vom Landkreis LDS“, sagt Lutz Strohschein. Das bedeutet aber auch – gut fünf Millionen Euro werden über die Tickets eingenommen. Darunter fallen Jahres- und Monatskarten, die unterschiedlichen Abos der rund 7000 Schüler, die ebenfalls vom Landkreis stark subventioniert werden, sowie die direkt an Bord der Busse gezahlten Fahrgelder. Das sind jährlich immerhin rund zwei Millionen Euro.  „Wenn wir diese Leistungen kostenlos erbringen wollten, müsste das irgendwer bezahlen“, betont Lutz Strohschein.

Die Frage nach der Finanzierung ist aber für den Mann der Praxis nur ein Aspekt. „Keine Fahrscheine würde auch bedeuten – der Verkauf und der Vertrieb entfallen. Damit hat dieser Vorstoß, der mir insgesamt noch sehr unausgegoren erscheint, auch einen gewissen Charme.“ Der Verkaufsaufwand habe sich in den letzten Jahren erhöht. Es muss eine aufwendige Software für die VBB-Tickets gepflegt werden. Agenturen, Automaten, Verkaufs- und Kontrolltechnik an Bord würden nicht mehr gebraucht. Das spare Kosten und vor allem auch Haltezeit. „Wenn zum Beispiel das Gros der Schüler mit seinen elektronischen Tickets unterwegs ist, die an Bord eingelesen werden müssen, dann sammeln wir derzeit schon die eine oder andere Verspätung ein“, erklärt der RVS-Experte.

Die Bundesregierung will mit ihrem Vorschlag an den EU-Umweltkommissar eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof verhindern. Zusammen mit den Ländern und Kommunen wolle man die Zahl privater Fahrzeuge auf den Straßen verringern und so vor allem die von Diesel-Autos verursachten Emmissionen reduzieren. Weniger PKW-Fahrer bedeutet aber auch mehr Nutzer von Bussen und Bahnen. Eigentlich allen Experten ist unklar, wie das Großstädte wie zum Beispiel Berlin, wo jetzt schon in den Stoßzeiten alles überfüllt ist, schultern sollen. So ist auch der Präsident des Verbandes der Deutschen Verkehrsunternehmen (VDV), Jürgen Fenske, verwundert: „Endlich erkennt auch die Bundesregierung die Schlüsselrolle des ÖPNV für Luftreinhaltung und Klimaschutz. So weit so gut!“, sagt er. „Doch bevor man über kostenlosen, also steuerfinanzierten Nahverkehr nachdenkt, müssen zunächst überhaupt die Voraussetzungen für einen leistungsfähigen ÖPNV in Deutschland geschaffen werden. Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten.“ Allein für die dauerhafte und nachhaltige Finanzierung des Nahverkehrs bräuchten alle staatlichen Ebenen, also Bund, Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften, pro Jahr rund zwölf Milliarden Euro. „Und dabei sind noch nicht die Milliardenbeträge für die Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt“, sagt Jürgen Fenske.

In Dahme-Spreewald wäre der Ausbau von  Bahnhöfen und Schienen nicht die allervorderste Aufgabe. „Aber auch wir bräuchten auf alle Fälle mehr Busse und mehr Fahrer, wenn wir zum Beispiel in Königs Wusterhausen den Takt verdichten wollten“, gibt Lutz Strohschein zu Bedenken. Das alles zeigt – ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr ist nicht im Hauruck-Verfahren zu haben. Die Bundesregierung hat Modellvorhaben in fünf Städten imWesten und Süden Deutschlands ins Spiel gebracht. Der Osten ist nicht vertreten. Auf alle Fälle ist somit eine – zugegeben aus der Not heraus geborene – spannende Diskussion in Gang gesetzt worden. Damit sie keine Nebelkerze bleibt, wie manch Befürworter einer freien Fahrt für freie Busse und Bahnen befürchtet, sind aber nicht nur ein paar kleinere Hausaufgaben zu erledigen.

TM / F: RVS

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