Heraus zum 1. Mai!

Heute heißt´s wieder: Heraus zum 1. Mai! In diesem Jahr ist das ein besonderer. Seit genau 100 Jahren ist er offizieller Feiertag: Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus, wie er bei uns hieß. Und war einst bei uns ein verordneter Pflicht-Jubeltag und Sich-selbst-zu-Jubeltag der Partei- und Staatsführung. Im Westen war der 1.Mai und ist seit der Großen Blende auch bei uns als Tag der Arbeit benamst. Auch wenn man an dem Tag nicht arbeiten muss. Auch Mailosungen gibt es nicht mehr. Die älteren Leser kennen sie noch. Schon bevor der Mai war gekommen und die Bäume schlugen aus, da schlug die Einheitspartei zu. Mit der großen Agitations- und Propagandakeule und erschlug uns meinungsmäßig regelrecht mit sperrigen und machtgewaltigen Mailosungen. Die waren sinnfrei nach dem Motto „Wir haben Losungen – was braucht Ihr mehr?“ Statt Lösungen Losungen wie „Arbeiter arbeitet! Bauern baut! Bürger bürgt! Schriftsteller stellt Schrift! Genossen genießt!“ Taten die ja schon. Mailosungen – ohne sie, glaubte die Partei, könnten wir nicht. Sie sollten für uns in Stadt und Land der Kompass und Wegweiser für unser täglich Tun sein. So eine Art sozialistische Kirchenpredigt. Das Einheitsgrau unserer Städte wurde zum 1. Mai schnell mit roten Losungen übermalt. So war an einer märkischen Schnapsbude zu lesen: „Alles zum Wohle des Volkes!“ Das Textilkombinat Cottbus plakatierte einst: „Jeder 3. Spinner bei uns ist ein Genosse.“ Bestimmt ist da umgehend unsere größte DDR-Firma, die Firma Horch, Guck& Greif, aufgekreuzt und hat zugegriffen. Genauso, wenn – was ja nicht nur Losung, sondern Staatsdoktrin war – statt der Mailosung „Die Partei hat immer Recht!“ die reale Losung zu sehen gewesen wäre: „Die Einheitspartei ist rechthaberisch und wirklichkeitsfremd.“ An der Mauer vom Stasiknast in Bautzen hing mal die Losung: „Heraus zum 1. Mai!“ Wie auch immer. In den Anfangsjahren der hiesigen Landwirtschaft hier im Dahmeland war an einer LPG ferkelig plakatiert: „Jeder Bauer deckt eine Sau!“ Geht das? Die Frauenorganisation DFD forderte mal in einer Mailosung dazu auf: „Frauen und Mädchen – ran an den Wettbewerb von Mann zu Mann!“ Geht heute gar nicht mehr: Von wegen der Mann – dann schon eher „Die Männin“ oder der Nichtsitzpinkler. Vielsagend war aber auch diese Losung: „Stärkt die Glieder der Partei!“ Aber die DDR-Bürger hatten manche Losungen schon in ihrem Sinne verstanden und handelten danach: „Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr rauszuholen!“ Oder auch die an einer Förderschule: „Der Sozialismus siecht!“. Und war es nur ein Schreibfehler mit einem überflüssigem „p“, wenn auf einem Plakat zu lesen war, „Der Sozialismus rupft 
uns alle“?

Heraus zum1. Mai: Im Rundfunk gab es dereinst an diesem Tag schon seit dem Morgen dröhnende Kampflieder und Marschmusik und das Fernsehen übertrug live von den Tschingderassa-Militärparaden in Berlin und Moskau. Die DDR-Bürger versammelten sich vielzählig – der Parteisekretär zählte die Anwesenheit durch – am Stellplatz, um gemeinsam im Arbeitskollektiv mit Fahnen und Losungen an den Tribünen vorbeizulatschen – nicht, ohne vorher die 5 Mark Mai-Feierprämie des Betriebes kassiert zu haben. Mitgebrachte Kleinkinder durften sich über kleine Papierfähnchen, sogenannte Winkelemente, freuen. Und schon mal das Winken zu den Politgreisen üben. Dann wurde von Vati

erst mal mit einem Bier der Mailosungskauderwelsch runtergespült. Meine absolute Nr. 1 der Mailosungen ist auch heute noch die: „War der April warm und trocken, braucht man am 1. Mai keine Socken!“ Also heraus aus den Socken!

Und überhaupt.