Jeschafft: Endlich Weihnachten!

Als ich noch ein kleiner märkischer Hosenmatz war, fing Weihnachten jetzt um diese Zeit richtig an. Wir hatten daheim den Stollenteig geknetet und danach die große Schüssel mit Teig auf dem Schlitten zum Bäcker gefahren, um ihn dort backen zu lassen. Auf dem Marktplatz stand eine wunderbare geschmückte Tanne. Sie leuchtete in der Dunkelheit und zeigte, Weihnachten würde bald kommen. Am – nicht „an“ – Heiligabend schneite es oft. Nachmittags schmückten wir den Baum – damals auch noch mit Lametta. Wenn es dunkelte und die Glocken vom Turm läuteten, ging ich mit Oma in die Kirche – einmal im Jahr gehörte sich das so. Der Weihnachtsmann war schon da gewesen, wenn wir heimkamen, weil er nicht so lange auf uns warten konnte. Manchmal auch schon am Mittag, da mein Vater bei der Bahn Schichtdienst hatte und die Züge fahren mussten. Was sie auch pünktlich taten. Über meine Geschenke freute ich mir ein Loch in den Bauch: einen Teller mit Süßigkeiten, einen Schokoladenweihnachtsmann, ein neues Hemd, ein Spielzeugauto und von Oma bekam ich ein paar selbstgestrickte „Hanschgen“, also Handschuhe. Wenn meine Mutter mit guten Beziehungen zur Konsum-Verkäuferin ein paar ergattert hatte, lag auch eine richtige Apfelsine unterm Baum. Ansonsten kubanische. Egal, wir freuten uns. Ich hatte in der Schule für alle etwas gebastelt. Damit waren wir glücklich. Mehr war auch nicht drin. Außerdem hieß es bei uns: Zuviel an Gaben zerreißt den Sack. Die langen Gesichter der Görn von heute hätte ich da mal sehen wollen! Es kann nicht genug geben. Vor dem Heiligabend-Essen – traditionell Kartoffelsalat mit Würstchen – wurde der Schlitten noch aus dem Schuppen geholt und wir zogen mit den Nachbarskindern und mit dem Hund draußen herum gefahren. Am Abend hörten wir Radio. Fernsehen hatten wir erst später. Wir hörten Lieder von der Heiligen Nacht, in der wir alle froh und heiter sein sollen. Und vom Tannenbaum, dessen Blätter oh wie grün sind. Waren wir auch, aber vor allem müde und glücklich. Und am ersten Weihnachtsfeiertag gab es Gans oder Pute mit Rotkohl und „Knullen“ – die gehörten für uns Märker einfach dazu. Auch damals, in der Zeit vor der Großen Blende, ist wirklich keiner verhungert. Alles in allem war Weihnachten ein ausgiebiges Familienfest. Es waren immer schöne Tage. Heutzutage ist Weihnachten ein Geschenke-Fest. Der christliche Sinn ist vielfach abhanden gekommen, aber er wird zu Weihnachten schnell mal kurz hervorgekehrt, es wird am Heiligen Abend in die Kirche gegangen – weil es die Nachbarn auch tun. 

Die Görn sitzen in diesen Tagen schon wie uff Kohlen und sind jespannt wie een Flitzebojen: Wann ist endlich Weihnachten? Wann kommt der Olle mit seinem großen Geschenke-Sack denn nun? Für die meisten Erwachsenen ist das ein Jeschafft-Tag: Jeschafft, dass die Rennerei nach den zig Jeschenken nun endlich vorbei ist. Jeschafft! Und wir sind erstmal jeschafft. Denn man hat vom Rumloofen nach Jaben schon janz krumme Beene. Doch egal: Weihnachten ist ein besonderes Fest. Ein Fest, an dem Familienfrieden demonstriert wird. Es sind Tage der Völlerei und des Trinkens, der Gefühlsduselei, des Verteilens und der Annahme von Geschenken, öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen. Manchmal auch handfestem Streit unterm Lichterbaum. So hat ihn der Schriftsteller Ambrose Gwinnett Bierce in seinem „Hexenwörterbuch“ genannt. Und ein Tag der Liebe: Weihnachten ist ja bei manchen Ehepaaren öfter als Ehesex. Süßer die Glocken nie klingen. Halleluja!  Klar ist auch, wir liegen in diesen Tagen einem Diktator mit einem roten Mantel zu Füßen! Er verdonnert uns lange Zeit vorher zu Konsumzwang: koofen, koofen, koofen! Und wir singen Loblieder auf ihn: Niklaus ist ein guter Mann und so. Am kommenden Montag bereist er sein Reich. Dann sucht er uns wieder heim. Sonst wohnt er am Nordpol. Aber damit wir seine Botschaft ja nicht vergessen, verkündet er sie uns schon seit dem Ende des Sommers mit Weihnachtseligkeitsgebimmel in den Supermärkten. Nun ist der Alte nicht nur Diktator, sondern auch Sadist. Manchmal kommt er seinen Untertanen grimmig, droht ihnen gar mit einer Rute. Hohoho! Und manchmal gab es  damit auch Schläge. Aber er ist eben doch auch Kinder­freund, der Geschenke bringt. Keine kleinen, sondern große für die Kleinen und Großen. Und viele. Wichtig ist heute: Hauptsache das Neueste, viel und teuer! Für den Papa ist dieser Tag ein Trauma: Noch ein Weihnachtsmann im Haus! Als Kind glaubte er an den Weihnachtsmann. Dann kam die Zeit, als er nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubte. Später musste er für die Görn den Weihnachtsmann spielen, aber für Mutti durfte er nicht den Eindruck erwecken, er sei einer. Und nun im Alter sieht er aus wie ein Weihnachtsmann – ob er das mag oder nicht.

Aber eins bleibt: Es wird zu Weihnachten jut jejessen. Zum Feste nur das Beste. Traditionell eine Jans, denn ne jut jebratene Jans is ne janz jute Jabe Jottes, wie die Märker wissen. Und wir sagen uns, wenn die Feiertage vorbei sind: Nie wieder Weihnachten! Nie wieder! Bis nächstes Jahr! 

Richtig freut man sich auf die Tage danach. Mit Reste­verwertung vom Fest. Mit „Hundefrühstück“, wie der Märker es nennt. Wieder mit einfacherem Essen. Vielleicht mit einer Sinfoniesuppe, also einem Erbseneintopf mit Würstchen. Der macht Musik. Und stimmt aufs Silvester­geböller ein.

Ejal, ob Sie ein Fan vons Weihnachtsfest sind oder ob Ihnen det allet Jacke wie Hose ist: Kommen Sie gut über die Tage und rennen Sie nicht zu doll beim Jahresendspurt. Weshalb ich so mischmaschig schreibe? Na, wie Märker eben reden. Frohes Fest und schöne Feiertage Ihnen allen! 

Und überhaupt.

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