Kerzen gewachsen wie Bäume

Nicht gepresst und nicht geschäumt: In einer alten Fläminger Familienmanufaktur 
wird das Wachszieher-Handwerk auf klassische Art betrieben

Das Wachs ist ein bisschen zu warm. Um das festzustellen, braucht Christian Buchal kein Thermometer. Der Wachszieher-Meister lässt den endlosen weißen Strang, der wie eine vielfach gespannte Wäscheleine in einer ungetümen Trommelmaschine rotiert, durch die Hände gleiten. „Ich muss kühlen“, sagt er, „sonst bildet sich kein gleichmäßiger Kern. Und das wäre nicht gut für die Qualität der gesamten Kerze.“ Der 40jährige Junior-Chef der Buchal-Kerzenfabrik in Reetzerhütten, einem Ortsteil von Wiesenburg/Mark im Landkreis Potsdam-Mittelmark, knipst eine in der Mitte der halbautomatischen Wachs-Zugmaschine platzierte Lüftung an. Die ohnehin paraffingetränkte Luft riecht gleich noch viel intensiver.

In der Kerzenfabrik im Fläming wird das Handwerk des Wachsziehens noch auf ganz klassische Art und Weise betrieben. „Hier wird jede Kerze gezogen, aus diesem Haus kommt kein gepresstes oder gar wie Schlagsahne aufgeschäumtes Wachsprodukt“, sagt der Seniorchef Klaus-Peter Klenke. Er und sein Sohn – der hat in Verbeugung gegenüber dem Urgroßvater und Firmengründer Herbert Buchal sogar dessen Nachnamen wieder angenommen – schwören darauf, jede Kerze wie einen Baum Ring für Ring wachsen zu lassen, weil sie nur so eine lange, gleichmäßige Brenndauer entwickelt.

Das in der Zugmaschine rotierende weiße Band, das für den Laien wie ein kräftiges Seil aussieht, ist tatsächlich nur ein dünner Baumwollfaden, der Schicht für Schicht mit Wachs ummantelt wird. Es ist der Kerzendocht, den die Maschine unentwegt durch ein Wannenbad mit flüssiger Tinktur zieht. Die erhitzte spezielle Mischung aus Paraffin, Stearin und Bienenwachs, die die beiden Traditionalisten zuvor in einem großem gusseisernen Feuerkessel angesetzt haben und nun Eimer für Eimer nachfüllen, legt sich geschmeidig um den Docht. „Wir machen hier gerade Rohlinge für Altarkerzen. Das dauert bei dem eingestellten Durchmesser von 45 Millimetern so um die viereinhalb Stunden“, sagt Christian Buchal. „Damit sind wir aber noch längst nicht fertig.“

In einem weiteren Produktionsraum hängen die am Vortag produzierten, erkalteten und gleichmäßig geschnittenen Kerzenkerne an drehbaren, metallenen Ringen über weiteren wachsgefüllten Bottichen. „Hier bekommen die Rohlinge ihren harten und bruchfesten Mantel. Dafür brauchen wir wieder ganz andere Mischungen. Und je nach gewünschter Länge tauchen oder gießen wir sie“, erklärt der Senior. Das Tauchen ist die einfachere Variante. Das Karussell-Gerüst mit den Kerzen muss „nur“ wieder und wieder ins tiefe Wachsfass gedrückt und dabei gedreht werden, bis der endgültige Umfang erreicht ist. „Die extralangen Sorten müssen wir aber gießen, weil das mit den Behältern nicht mehr funktioniert“, sagt der 64jährige Firmeninhaber.

Dafür greift er sich einen Stieltopf, in dem man Zuhause sein Gemüse garen würde, und steigt auf eine Leiter. Vor der hängt das nächste, über Kopfhöhe gezogene Kerzenkarussell. Darunter steht ein weiterer dünstender Wachstrog. Daraus schöpft der Fabrikant ohne Unterlass die heiße Flüssigkeit und schüttet sie über die baumelnden Stangen. Schöpfen, gießen, drehen, schöpfen, gießen, drehen – die Paraffinmischung erkaltet am Kerzenkern und so wächst dieser allmählich in die Breite und nach unten in die Länge. „Das geht auf die Knochen und kann je nach gefordertem Maß bis zu drei Tage dauern“, sagt Klaus-Peter Klenke, „aber so kriegen wir auch Sonderlängen in hoher Qualität hin.“

Und die sind vor allem in den Gotteshäusern gefragt. In der DDR war der Fläminger Betrieb der einzige, der für die Kirchen produziert hat. Daneben schwören auch Filmgesellschaften seit der Firmengründung vor knapp 100 Jahren bis heute auf die hochwertigen Sonderanfertigungen. „Der Großvater hat zum Beispiel schon für die UFA gearbeitet, die Mutter für die DEFA und wir sind nun mit dem Filmstudio Babelsberg im Geschäft“, beschreibt der studierte Chemie-Ingenieur Klaus-Peter Klenke die Zeitenwechsel, die das Familienunternehmen alle überlebt hat. Dass sie nun auch noch gegen ein Virus ankämpfen müssen, ist für Vater und Sohn eine Herausforderung, die sie wieder ums Überleben ringen lässt. Die Kirchen und insbesondere auch die Filmindustrie haben die Bestellungen sehr weit zurück gefahren. „Das ist ein schwerer Schlag. Die Altar- und Messkerzen, aber auch die filmreifen Exemplare beispielsweise mit zwei Dochten, mit stiebendem Funkenflug und schwebenden Flammen sind schon echte Spezialitäten unseres Hauses“, sagt Klaus-Peter Klenke.

Aber der kleine Familienbetrieb denkt nichts ans Aufgeben. Denn auch für den warmen Schein in der trauten Wohnstube hat das rund 1000 Artikel umfassende Sortiment unzählige Varianten zu bieten. Ob spitz oder kugelförmig, ob weiß oder farbig, ob als Bild oder Figur – in den Ecken der Arbeitsräume stehen Apparaturen, die jedes erdenkliche Wachsgebilde drechseln, schneiden oder schleifen können. Und es gibt ja auch noch die geschickten Hände der beiden Wachsbildnerinnen in der insgesamt vierköpfigen 
Belegschaft.

Während sich Vater und Sohn um die körperlich schweren Arbeiten des Ziehens, Tauchens und Gießens kümmern, sorgen die Frauen für die individuelle Gestaltung der Jubiläums-, Schmuck- und Zierkerzen jeder Art. Sie hantieren an ihrem Modelliertischen mit Farbtöpfen, mit Pinseln, Messerchen und Pinzetten. Sie tragen Muster auf, formen plastische Effekte, heften in Formen gegossene Figuren und Gesichter an die Kerzenkörper. Ob Tannengün oder Engel, ob runde Geburtstagszahl, buntes Schleifchen oder goldener Ring – alles ist möglich, weil es eben für alles eine Wachstinktur gibt, die in der Rezeptküche dieses altehrwürdigen Familienbetriebes zusammengebraut wird.

Normalerweise sind die Wachs-Kunstwerke gerade auf den Weihnachtsmärkten heiß begehrte Entdeckungen. Aber was war schon normal in den zurückliegenden Monaten. Und so liefen in dieser Manufaktur der ganz alten Schule in diesem Jahr nicht nur die Töpfe und Tiegel heiß, sondern auch die Computer beim Online-­Geschäft.

TM

Wachs in allen Farben und in den verschiedensten Mischungen sind das besondere Kapital der Fläminger Kerzenfabrik. Foto: T. Müller
DT | KaWe-Kurier online Wachs in allen Farben und in den verschiedensten Mischungen sind das besondere Kapital der Fläminger Kerzenfabrik. Foto: T. Müller