Ein „schwarzer Dienstag“ für Wildau
Die Stadtverordnetenversammlung Wildau hat beschlossen, das Entwicklungsprojekt Dahmeufer Nord zu stoppen. Und so wird es (wahrscheinlich) sein! Die eingeschränkte Feststellung der Wirksamkeit des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung resultiert daraus, daß der Bürgermeister noch prüfen muß, ob den Stadtverordneten Wildaus mit ihrem Beschluss ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Wenn ja, dann muß er den Beschluss beanstanden. Die Stadtverordneten müssen das geltende Recht beachten. Dafür muß der Bürgermeister sorgen.
Im Übrigen sind die Abgeordneten natürlich in ihren politischen Entscheidungen frei, können entscheiden, was sie politisch für richtig halten. Auch wenn andere, zum Beispiel die Mehrheit der Bürger, diese Entscheidung für politisch fragwürdig, ja sogar für politisch falsch halten. Ich zähle zu diesen Menschen. Für mich wird der Tag des Beschlusses, der 29. November 2022, als ein „schwarzer Dienstag“ in die Geschichte meines Heimatortes eingehen. Aber im Land Brandenburg hat der Souverän, haben die Wähler doch noch eine Möglichkeit, ihre Position durchzusetzen – der Weg führt über ein Bürgerbegehren und einen Bürgerentscheid. Dieser Weg ist mühselig, mit Unterschriften, Fristen und Quoten verbunden. Aber am Ende läge die letzte Entscheidung tatsächlich bei einer Wahl, beim Bürger.
Das Thema „Dahme-Nordufer“ ist schon alt in Wildau. Kommunalpolitisch beschäftigte es uns schon mindestens 30 Jahre. Aber die Erblast unserer bedeutsamen industriellen Geschichte besteht dort schon viel länger. Die starke Kontamination in Wildaus nördlichen Dahme-Wiesen ist ein Ergebnis der industriellen Geschichten des Ortes, vor allem auch der Produktion kriegswichtiger „Vorprodukte“ durch die HIAG bzw seit 1940 die Degussa in den Jahren bis 1945. Für den ordnungsgemäßen Abtransport schadstoffbelasteter Reststoffe war keine Gelegenheit mehr, also ab damit in die Dahme-Wiesen.
Seit der Wende versuchten wir – unter anderem mein Amtsvorgänger Gerd Richter und ich in meiner Amtszeit -, für die besagte Fläche einen Investor zu gewinnen, der auch die De-Kontamination dieser Fläche übernimmt, um an dieser Stelle eine von Schadstoffen unbelastete Zukunft zu erreichen. Dass die Belastung der nördlichen Wildauer Dahmewiesen schwerwiegend ist, bestätigte ein ausführliches Gutachten des Landkreises, das zwei Aktenordner umfasst und der Gemeinde/Stadt Wildau seit Ende der 90er Jahre vorliegt. Der später gefundene Investor hat inzwischen noch detailliertere Untersuchungen vornehmen lassen. Man muss auch bedenken, dass der Fluss Dahme nahe ist und dass die Schadstoffe nur knapp über Grundwasser führenden Schichten liegen. Die Gefahren weiterführender Folgeschäden sind gegeben. Der Tenor aller Fachleute war und ist eindeutig – die Erblast sollte beseitigt werden.
Seit einigen Jahren schien ein entsprechender Erfolg zu gelingen. Durch Vermittlung der WiWO und ihres vormaligen Geschäftsführers Frank Kerber wurde ein etablierter, erfahrener Investor gefunden, der Interesse an dem Wildauer Grundstückskomplex signalisierte, um dort Wohnungen zu bauen. Der Investor, die WiWO und die Stadt wurden schnell ein gutes Team. Und zwar nachdem insbesondere der alte Aufsichtsrat der WiWO unter Beteiligung der späteren, inzwischen abgewählten Bürgermeisterin Angela Homuth, die damals Mitglied des Aufsichtsrates der WiWO war, den Investor gründlich geprüft hatte. Der Investor und die Tochtergesellschaft der Stadt Wildau, die WiWO, schlossen relativ schnell Optionsverträge für die weitere Entwicklung des Projektes, insbesondere um dem Investor Sicherheit zu geben für seine nicht geringen Anfangsausgaben.
Nun hat die Stadtverordnetenversammlung das begonnene Projekt „gecancelt“, um das weitere Wachstum der Stadt Wildau zu begrenzen und um eine angebliche Überlastung der Infrastruktur des Ortes zu verhindern. Aber Wildau ist immerhin Teil eines „Regionalen Wachstumskerns“ und damit eines größeren Ganzen. Und das Projekt bedeutet eigentlich keine Überlastung der örtlichen Infrastruktur, wie auch gutachterlich festgestellt wurde. Zumal der Investor den Bau einer weiteren Kita im Bereich seines Projektes schon zugesagt hat und sich auch schon um eine weitere „schrankenfreie“ Bahnquerung für Wildau planerisch und bei der Deutschen Bahn eingesetzt hat.
Für all seine Vorleistungen hat der Investor natürlich schon beträchtliche Ausgaben gehabt. Ich vermute, der Investor wird diesen Schaden – mehrere Millionen Euro – gegenüber der WiWO (und der Stadt) geltend machen. Er fühlt sich bestimmt in seinem Vertrauen in die Stadt Wildau und ihre Tochtergesellschaft WiWO gestört. Möglich, das es auch noch um entgangenen Gewinn gehen wird. Es könnten nunmehr also millionenschwere Schadensersatzleistungen auf die WiWO und die Stadt Wildau zukommen.
Langfristig noch bedeutsamer ist allerdings das Problem der Kontamination. Zuständig ist die WiWO und indirekt auch die Stadt Wildau als deren Eigentümerin. Natürlich ist noch offen, wann die zuständige Kreisbehörde den Eigentümer anweist, die Schadstoffbelastung zu beseitigen. Das kann kurzfristig passieren, aber auch noch länger dauern. Jedenfalls schwindet die Kontamination indessen nicht von allein. Irgendwann – ich vermute alsbald – wird der Grundstückseigentümer zur De-Kontamination verpflichtet werden. Dann fallen noch weitere viele Millionen Euro an. Geld, das für viele wichtige andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht, was die weitere Entwicklung der Stadt Wildau in den kommenden Jahren vermutlich bremsen wird.
Ende der 80er Jahre war der Status von Wildau eher beschämend. Wenn „Heinrich Rau“ Arbeitsbeginn oder Feierabend hatte, waren die Wildauer Straßen zwar voll mit Fußgängern oder Fahrradfahrern, die zur Arbeit oder nach Hause wollten. Aber zum Einkaufen, zum Bummeln ging man anderswohin. Das droht Wildau wieder, wenn jahrelang kaum die notwendigen Investitionen durchgeführt werden, weil das Geld fehlt. Die Entwicklung der Stadt wird vermutlich langfristig stagnieren, wenn nicht doch noch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid einen anderen Kurs erzwingen. Es bedeutet Mühe, aber es wäre eine Mühe, die sich lohnen würde für die Stadt. Wer nimmt sie auf sich? Wildau hat noch immer eine Wahl zwischen Fortschritt oder Stagnation.
Dr. sc. Uwe Malich