Nur halb so schön

In vorpandemischen Jahren sah man auch in KW oder Wildau Männer und Frauen lauthals durch die Stadt schwanken. Sie hatten betriebsweihnachtsgefeiert. Dieses Jahr werden zum zweiten Mal die Firmenweihnachtsfeiern ausfallen. Die einen bedauern es. Die anderen begrüßen es. Bis Corona das Licht ausmachte, wurde in drei von vier Unternehmen feucht-fröhlich das Jahresende gefeiert. Weil es das Zusammengehörigkeitsgefühl der Arbeitnehmer:innen und die Loyalität gegenüber der Firma, dem Austausch von Tratsch und die Wertschätzung stärke. Man versichert sich im alkoholseligen Tonfall, man sei doch „eine große Familie“. Naja, kann man geteilter Meinung sein. Ich entsinne mich an eine Feier, als sich bei uns eine trinkfeste Mitarbeiterin einen Spaß daraus machte, wehrlose Kollegen zum Kräuterschnaps­trinken zu animieren. Und wir ließen uns von ihr und Ramazotti animieren: Los, einen noch! Wir sind doch ein gutes Team! Man muss mitmachen. Unentschuldigtes Fernbleiben bringt Ärger. Man gilt dann als nicht teamfähig. Bis am nächsten Tag, wenn der Kater aufkreuzt. Wer alkoholisiert klummert und sich dabei ein großes Aua zuzieht und der Chef noch dabei ist, der hat Glück. Es gilt dann als Dienstunfall. Alkohol befreit von Hemm­nissen. Es werden Reden vom Chef geschwungen, die die Mitarbeiter schnell vergessen, es wird gegen die Chefchens gelästert, manche Chefs sehen sich als alleinige Alleskönner und Allesbessermacher. Nur sie haben die letzten Monate bewältigt, nicht alle gemeinsam! Nur was nicht so gelaufen ist, klar, das waren die Mitarbeiter! Die Bilanzen werden schöngeredet. Und es wird gepusht: „Im nächsten Jahr wird alles besser!“ Wie jedes Jahr zuvor getönt. Die Weihnachtsfeier ist ein probater Anlass, den angestauten Unmut in Alkohol zu ertränken. Das klappt meistens. Kostet den Arbeitgeber wenig. Er kann die Kosten der Feier von der Steuer absetzen – bis zu 110 Euro pro Kopf. Die meisten Mitarbeiter hätten laut einer Umfrage lieber Weihnachtsgeld oder ein paar freie Tage als eine Betriebs­weihnachtsfeier. Aber das ist nur halb so schön. Und überhaupt.