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Donnerstag, März 28, 2024
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Seenagers Freud und Leid

Das Leben ist richtig schön. So als Seenager, als Senior-­Teenager.

Mir fehlt nichts. Ich muss nicht im Morgengrauen raus, kann ausschlafen. Ich muss nicht zur Schule gehen oder arbeiten. Ich bekomme mein Taschengeld pünktlich als Rente. Ich habe mein eigenes Auto. Ich genieße den Ruhestand. Der ist wie Arbeit: Man tut, wenn man keine Lust hat, nichts. Man muss keine Angst haben, dass der Chef das merkt. Ich habe, als ich in Rente ging, einen neuen Chef bekommen: meine Frau: Ich bin der Herr im Hause – und was meine Frau sagt, wird gemacht.

Ich habe keinen Stress mehr. Ich sage immer: Du, Stress, es ist aus mit uns! Ich muss mich nicht mehr mit Besserwissern, ignoranten Denkverweigerern und Leuten mit bekloppten Ansichten herumärgern. Ich nehme mich selbst nicht zu ernst. Ich habe so oft gute Laune – davon könnten Teenager jahrelang pubertieren. Ich gucke mir nur noch manchmal Tussis im Playboy an – sie können unseren Märkischen Schönheiten nicht das Bade-Wasser reichen. Ich kann – als weißer alter Mann – auch mal einen etwas sexistischen Witz machen – ohne von AktivistInnen und GleichstellungsbeauftragtInnen angegangen zu werden. Ich muss mich nicht am Gendergeschwurbel beteiligen. Ich bin auch in der Ernährung umweltbewusst – aber ich kann auch mal meiner Fleischeslust frönen.

Ich kann all den Blödsinn machen, für den mir mit 20 die Kohle oder die Möglichkeiten fehlten. Ich kann in den Westen fahren oder nach Malle. Ich kann Alkohol trinken oder kiffen. Ich kann jede Woche ein „Ange(Markt)“ schreiben – wenn ich Lust habe. Ich kann mich jeden Tag im Sportstudio austoben oder im Sommer nichtstuend am Strand sein. Bei den Frauen, mit denen ich dort rumliege, habe ich nicht mehr dauernd Schiss, dass sie schwanger werden – und sie haben keine Akne. Ich habe als Seenager noch keine grauen Haare – ich habe eine Glatze. Ich werde mit „junger Mann“ angesprochen. Als ich einer war, war das Tote Meer erst ein sterbendes. Ich lese statt der „Bravo“ die Rentner-Bravo, die „Apothekenrundschau“. Ich muss bei vielen Leuten, die ich treffe, erst fragen, wer sie sind. Ich verstecke mich auch hinter Coronamasken. Das Leben könnte richtig schön sein – wenn der ganze Coronamist mit den vielen Einschränkungen nicht wäre.

Ich habe alles, was ich brauche. Außer Zeit. Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

Und überhaupt.

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