– Eindrücke von der Russischen Rivera (Teil 1) –
Rausch wie im Paradies
Sotchi macht müde. In den Parks und am Strand sieht man eine Menge Leute auf den Bänken schlafen. Berauscht sind sie. Aber anders. Dazu später.
Sotchi. Im Gedächtnis vieler einstiger Ostdeutschen ist es die Inkarnation des sowjetischen Paradieses geblieben. Der Kurort am Schwarzen Meer zu Füßen der gletscherbedeckten 3000er Gipfel des westlichen Kaukasus fasziniert mit einer Natur, wie wir sie nicht hatten: Palmen und tropische Wälder, Thermalquellen, lange Stränden, Sanatorien und eine Umgebung mit Bergen von wilder Schönheit. Das subtropische Wetter lässt eine für Russland einzigartige Vegetation mit Palmen, Bananen und Zitrusbäumen erblühen. Sotchi hat die nördlichsten Subtropen der Welt. „Russische Riviera” nennen die Russen Sotchi und seine Strände mit ihrem Blick eher zum Westlichen neigend auch – und in der Tat hat der Ort mit den Urlaubszielen am Mittelmeer so einiges gemein. Es liegt auch auf dem gleichen Breitengrad wie Nizza. Und hat sogar Schnee.
Sotchis Kurort-Geschichte ist lang. Seit 1898 Feriengebiet, entwickelt sich der Ort vor 100 Jahren – seit 1917 Stadt – zum Ferienort der russischen Oberschicht. Wer genug Rubelchen hatte, setzte sich ein Sommerhaus an den Strand und wohnte hier samt Kind und Kegel, wenn es in Moskau und Petersburg zu heiß, zu kalt oder zu nass war. Als dann viele Heilquellen auf dem Gebiet entdeckt wurden, wurde Sotchi zum Kurort. Und entwickelte sich zum mit Abstand besten in Russland. Die wohlhabenden Moskowiter und Petersburger errichteten prachtvolle Villen in der Stadt: Bis heute kann man zwischen den in den letzten Jahren dahingeklotzten Neubauten die hervorragende russische Jugendstil-Architektur an den alten Herrenhäusern sehen. Aber 1919 war Schluss mit dem Geldadel. Per Dekret gingen alle in Sotchi bestehenden Hotels und Sanatorien in Sowjet-Staatseigentum über. 1933 wurde die Stadt zur Großbaustelle erklärt und zu einem Badeparadies für Arbeiter entwickelt. Hunderte von palastgleichen Sanatorien, Kurhotels und Ferienanlagen entstanden in dieser Zeit in den Sümpfen nahe Sotchi. Die meisten Sanatorien waren Heil-Stätten bei Bronchial-, Lungen-, und Nervenerkrankungen. Mehr als 100 00 Menschen erholten sich hier jährlich fast kostenlos. Zu späteren Sowjetzeiten kamen jährlich bis zu 6 Millionen Urlauber hierher. Arbeiter und Bauern und Bemittelte aus Europa urlaubten oder kurten an den Stränden und in den Einrichtungen des berühmten Ferienparadieses. Und wer Beziehungen zum Reisebüro oder mit wem auch immer in der DDR hatte, konnte auch mal dorthin fahren. Davon schwärmte man dann ein Leben lang. Auch Stalin war Sotchi-Liebhaber. Er ließ sich in der Nähe im heutigen Abchasien, also Georgien, eine Hochsicherheits-Datscha bauen. Der Diktator liebte die Abgeschiedenheit und die Berge, denn er konnte nicht schwimmen. Und viele lieben ihn noch heute. Überall kann man Stalin-Devotionalien kaufen. In Restaurants empfehlen die Kellner ausdrücklich diesen oder jenen einst von Stalin geliebten Wein. Der Stalin-Kult hier im Süden ist gesellschaftliche Normalität, es gilt als politisch korrekt, seine Verdienste als Kriegsführer zu würdigen. Stalin ein Diktator? Seine Verbrechen – welche denn, sagen viel hier. „Väterchen“ habe doch viel Gutes getan“, erklärt mir ein Kaukasier. Wie die Straße auf den Berg Achun, dem höchsten des Vorgebirges an der Schwarzmeerküste. Von hier aus kann man das phantastische Panorama der Berge wie des Meeres gleichzeitig genießen, Sonnenaufgang wie -untergang. Bis in die 30er Jahre führte nur ein mühsamer Fußweg hinauf. Dann hatte Stalin die Idee, hier müsse eine Straße und ein Aussichtsturm her. Innerhalb von nur 100 Tagen war die zwölf Kilometer lange Asphaltstraße fertig. Ein Vergleich mit den Baufortschritten am BER verbietet sich angesichts der Opfer, die diese Stalin-Straße kostete. Aber die meisten Russen sind mit verquerem Geschichtsbild stolz auf ihr sogenanntes „Väterchen“. „Wir haben damals in einem bedeutenden Land gelebt, seine Nachfolger wie Chrutschow oder Gorbatschow haben uns ruiniert oder verkauft. Erst Putin hat uns unsere Stärke und Selbstachtung wiedergegeben.“ Stalin, so vieler Russen Überzeugung, meinte es doch nur gut mit allen Menschen: „Er hat sich um alle gekümmert“, schwärmt auch Galina, die am Straßenrand an einem Stand das Nationalgetränk Kwas verkauft. Kwas was? Kwas wird aus vergorenem Brot hergestellt, schmeckt frisch und angenehm wie Bier – und ist alkoholfrei. Na dann mal ohne Alkohol: Na sdarowje, auf die Gesundheit!
Berauscht wird man aber auch so. Der Aufenthalt am Meer und in den Bergen ist gut für die Gesundheit – und macht müde: Die Pracht von Blüten und immergrünen Pflanzen berauschen die Stadt das ganze Jahr über. Der Blütenduft, die Farben und das Rauschen des Meeres machen müde, erklärt mir Jelena Kornijuk, meine Dolmetscherin, die in Sotchi wohnt, die Schlafenden auf den Bänken.
Die Bergregion von Sotchi war ein Austragungsort der Winterspiele 2014. Dort liegt auch der Bergkurort Rosa Khotur mit seinen Skipisten. Es ist mit 94 Kilometern Skipiste das größte Skigebiet Russlands. Inzwischen ein Topp-Tipp! Rund 1,8 Millionen Besucher verbrachten 2016 ihren Urlaub in dem weniger als eine Stunde vom Flughafen Sotchi-Adler entfernten Resort. Knapp 3000 Hotelzimmer stehen zur Verfügung. In den Jahren 2013 bis 2015 wurde Rosa Khutor jeweils mit dem Welt Ski Award als bestes Skigebiet Russlands ausgezeichnet. Mehrere Seilbahnen führen auf das Rosa Plateau in 1170 Meter Höhe, wo sich 2014 das Olympische Bergdorf befand. Mit zweimal Umsteigen erreicht man den 2320 Meter hohen Gipfel mit fantastischer Aussicht. Ein anderer Lift führt zum Gucken über die Wälder hin und wieder zurück. Etwa 1,2 Millionen Gäste nutzten 2016 die bis spät in die Nacht ununterbrochen fahrenden Lifte. Der Kurort bietet in den Sommer- wie in den Wintermonaten vielfältige aktive Erholungsmöglichkeiten. Durch die Lage in den Bergen und gleichzeitig in unmittelbarer Nähe zum Meer ist Rosa Khutor bei Wellness- und Erholungssuchenden gern gebucht. Auch in Deutschland kann man das nun wieder. In der kommenden Saison 2017/2018 fliegt man direkt ab Berlin-Schönefeld dorthin. Was Sie dort erwartet? Wir sagen es Ihnen im nächsten Teil.
Ulrich Rochow(T+F/Archivfotos)