Maike Fürst berichtet: Ein Jahr Freiwilligendienst fern der Heimat
Gerade habe ich frisch mein Abiturzeugnis erhalten. In weniger als zwei Monaten werde ich mich allerdings einige tausend Kilometer weiter Richtung Äquator befinden. Denn ich habe mich entschlossen, einen Freiwilligendienst (FWD) in Ghana zu absolvieren. Meinen bekannten Alltag möchte ich gegen neue Erfahrungen in einer anderen Umgebung eintauschen, weil ich denke, dass ich dadurch viel lernen kann. Unsere Gesellschaft wird immer globalisierter, und doch existieren aus der westlichen Perspektive noch große blinde Flecken. Bei der Erwähnung meines Auslandsjahres treffe ich immer wieder auf Vorurteile und Unwissen: „Ist das denn sicher? Gibt es dort WLAN?“ sind noch sehr harmlose Beispiele. Zur Beantwortung: Ghana ist ein demokratischer Vorreiter des afrikanischen Kontinents und gilt als sicheres Reiseland. Und das Internet wird von jungen Ghanaern genauso exzessiv genutzt wie in Deutschland.

Aber von vorne. Mein Name ist Maike, und dass es für mich gerade Ghana wurde, geschah eigentlich zufällig. Ich war mir sicher, einen FWD absolvieren zu wollen, und stieß dabei auf „weltwärts“. Die Organisation wird staatlich durch das BMZ gefördert und ist gemeinnützig. Freiwillige werden rechtlich gut abgesichert und pädagogisch unterstützt. Ich wusste, dass ich meinen FWD in einem Krankenhaus absolvieren wollte, und nachdem ich mir zahlreiche Einsatzstellen auf der Website angeschaut hatte, fiel meine Wahl auf das Regionalkrankenhaus in Koforidua in Ghana. Es ist das größte Krankenhaus in der Region, und besonders das wechselnde Stationensystem weckte meine Aufmerksamkeit. Als Freiwillige hat man vor Ort die Möglichkeit, zwischen zahlreichen verschiedenen Stationen, wie Chirurgie, Labor, Notaufnahme und Geburtenhilfe, zu rotieren.
Momentan bin ich noch mit allen möglichen Reisevorbereitungen beschäftigt. Zahlreiche Impfungen und einen Tropeneignungstest habe ich bereits hinter mir. Im nahegelegenen Achenbach-Krankenhaus habe ich in einem Praktikum in den Krankenhausalltag hineingeschnuppert. Danach nahm ich an einem Vorbereitungsseminar teil. Hier wurden von ehemaligen Freiwilligen Workshops über Rassismus, Kolonialismus, Freiwilligendienstkritik und weitere Themen durchgeführt. So wurden wir zum Beispiel darüber informiert, was man bei Berichten beachten sollte, um nicht versehentlich Vorurteile und rassistische Strukturen zu fördern. Ehrlich gesagt, habe ich mich während dieser Tage häufig gefragt, warum diese Themen nicht intensiver in der Schule besprochen wurden. Die Kolonialgeschichte Deutschlands wird (wenn überhaupt) nebenbei behandelt, warum gerade Englisch eine Weltsprache ist, wird nicht thematisiert, und der gesamte Kontinent Afrika scheint nur im Kontext des Sklavenhandels als bedeutsam genug, um behandelt zu werden.
Grundsätzlich sollte ein FWD deswegen nicht nur als überlanges Praktikum betrachtet werden. Natürlich lernt man den Berufsalltag auf eine sehr intensive Art und Weise kennen. Und ich denke, hierdurch kann man sehr wohl erkennen, ob einem ein Berufsfeld liegt. So werde ich mich im Nachhinein bestätigt fühlen, einen Beruf im medizinischen Bereich anzustreben – oder auch nicht. Viel wichtiger sind allerdings persönliche Erfahrungen. So definiert sich „weltwärts“ selbst als Lerndienst. Wie stehe ich auf eigenen Füßen? Wie finde ich mich in einem anderen Land zurecht? Ich werde in einer Gastfamilie leben, viele neue Menschen kennenlernen und mich mit ihnen austauschen, leckeres Essen genießen, die Gegend erkunden und dabei hoffentlich viel Spaß haben.
Ein FWD soll dazu anregen, globalisierter und offener zu denken, sowie zu helfen, Vorurteile abzubauen. Durch Kontakte und Kommunikation werden eigene Denk- und Verhaltensmuster überdacht. Nach der Rückkehr ist man nicht nur reicher an Erfahrungen und Fähigkeiten, sondern zumeist auch an Interesse an interkulturellem Engagement.
Eines weiß ich bereits sicher: Es wird eine emotionale Achterbahn werden. Ich habe noch nicht einmal damit angefangen, daran zu denken zu packen, und bereits zahlreiche Gefühlslagen durchlebt. Über die Freude, angenommen zu sein, über die wachsende Vorfreude auf mein Auslandsjahr, dann die einsetzende Realisation: Ich mache das wirklich! Sorgen über meinen Aufenthalt, ob ich mit der Situation zurechtkommen werde, wie sehr ich Freunde und Familie vermissen werde. Ich werde wenig Kontrolle über meine Erfahrungen vor Ort haben. Ich werde dutzende schöne, neue und einzigartige Dinge erleben. Und ich werde Ghana gewiss mit einer anderen Perspektive und vielen Erzählungen verlassen.
Fotos: privat
