Die einen sagen so, die anderen sagen so. Russische Kultur verbannen? Tolstoi und Schostakowitsch, Netrebko oder die
Bolschoi-Kosaken – wie halten wir es mit ihnen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine? Wer ein Bolschoi Kosaken-Konzert besucht wie ich kürzliche mit vielen Wildauern in der dortigen Friedens(!)Kirche, wird scheel beäugt. Die Boykott-Debatte währt nun bald ein Jahr. Oder noch länger. Ich erinnere mich, dass nach der Wende in Mittenwalde über eine Umbenennung der dortigen Tolstoi-Straße diskutiert wurde. Tolstoi, weltberühmter Autor des im 19. Jahrhundert geschriebene Epos „Krieg und Frieden“, sei schließlich ein Russe gewesen. So ein bekannter Mittenwalder. Russische Literatur ist heute verfemt. Die russische Kultur wird gecancelt. Der ukrainische Kulturminister hat ein Totalverbot der russischen Kultur gefordert. Auch ein Tschaikowski sollte nicht mehr gespielt werden. Kein „Schwanensee“ mehr. Ukrainische Filmschaffende protestieren gegen russische Filme. Kürzlich veröffentlichte die ukrainische Regierung eine Sanktionsliste mit den Namen von hundert Personen, darunter auch der Starsopranistin Anna Netrebko. Sie hat sich gegen den Krieg positioniert, aber viele Äußerungen klingen halbherzig. Die in Wien lebende Sängerin gilt auch in Russland als Verräterin. Aber die Ukraine sagt uns, was wir tun müssen: Sie fordert. Jeden Tag was Neues. Einen Tag, nachdem Bundeskanzler Scholz Panzerlieferungen genehmigt hat, fordert Selenskyj Kampf-Flugzeuge. Er zieht uns in diesen Krieg mit rein. Selenskyis meistbenutztes Wort: Er fordert. Jeden Tag. Ich fordere, dass er nicht fortlaufend fordert. Die Welt fordert von ihm auch etwas: dass er schnell und dringend etwas gegen die Korruption in der Ukraine tun muss. Die Korruptionsvorwürfe betreffen mehrere stellvertretende Regierungsmitglieder, Gouverneure und hochrangige Beamte. Darunter den stellvertretenden Verteidigungsminister Schapowalow. Es geht um eine Reihe von Korruptionsskandalen, um Schmiergelder, die Veruntreuung von Hilfsgeldern sowie das Zuschanzen von Bauaufträgen und Luxusreisen. Nach dem russischen Einmarsch vor elf Monaten wird der ukrainische Staatshaushalt gut zur Hälfte aus dem Ausland finanziert. Aber die Rüstungskonzerne reiben sich die Hände. So gut ging es ihnen noch nie. Deutsche Panzer treten wie einst gegen russische an. Der Krieg ist nicht zu gewinnen, nur Verhandlungen bringen Waffenstillstand. Sollten wir nicht Verhandlungen fordern, statt uns auf Waffenforderungen einzulassen? Waffen retten kein Leben, sondern töten. Und überhaupt.
Ange(mark)t Was zu fordern ist