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Wer Reisen liebt – verschiebt

Touristik-Fachwirt Guido Riedel spricht über die derzeitige Lage
in der Reisebranche

Der durch die Corona-Pandemie verursachte weltweite Lockdown hat viele Bereiche der Wirtschaft hart getroffen. Am schwersten betroffen ist aber die Reisebranche. Das wurde vielen – auch der Politik – wohl erst mit den deutschlandweiten Protestaktionen der Touristiker am 29. April bewusst. Über die prekäre Lage in der Touristik-Branche sprachen wir mit Guido Riedel, dem Inhaber von TUI TRAVELStar RB Reisen. Sein Unternehmen betreibt drei Reisebüros in Bestensee, Eichwalde und im Südring Center Rangsdorf. Der Touristik-Fachwirt gehört zu den Mitinitiatoren der Protest-Demonstration am 29. April und am heutigen Mittwoch auf dem Potsdamer Alten Markt.

KaWe-Kurier: Wie wirkt sich der Lockdown auf Grund der Corona-Pandemie auf Ihre Branche aus?

Guido Riedel: Seit den weltweiten Reisebeschränkungen und dem Lockdown wurde das Reiseprogramm aller Veranstalter faktisch über Nacht auf 0 gefahren. Eine weltweite Reisewarnung wie jetzt hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben! Alle Buchungen und Reiseverträge wurden auf Grund der damit verbundenen rechtlichen Bedingungen gekündigt. Die Kunden haben Anspruch auf die Erstattung der Reisepreise.

Auf der anderen Seite sind wir nur Vermittler von Reisen der großen Veranstalter auf Provisionsbasis. Mit den Stornierungen der Reisen haben wir auch keinen Anspruch auf Provisionen und müssen sowohl die bereits ausgezahlten als auch die uns zustehenden Provisionen an die Veranstalter zurückzahlen.

Was heißt das konkret für Ihre Reisebüros und für Reisebüros im Allgemeinen?

Die Provisionen der Veranstalter machen etwa 95 Prozent unserer Einnahmen aus. Und die sind komplett weggebrochen. Unsere Kosten für Personal, Mieten usw. laufen aber weiter. Dabei haben wir die Leistungen, für die wir die Provisionen eigentlich bekommen, ja erbracht!

Gibt es denn eine Aussicht auf Besserung?

Nein, die Lage bei den Reisebüros ist wirklich vertrackt. Wir haben durch den Lockdown unser Altgeschäft verloren und haben keine Aussicht auf ein Neugeschäft!

Wie sieht es mit der von vielen Unternehmen derzeit praktizierten Kurzarbeit für Ihre Mitarbeiter aus?

Unsere Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun. Sie sind jetzt für die Kunden da und beraten sie, da Veranstalter und Online-Anbieter von Reisen kaum erreichbar sind. Wir bieten den Kunden den kostenlosen Service, den wir aber auch nicht bezahlt bekommen! Daher kann ich meine Mitarbeiter nur in 50-Prozent-Kurzarbeit ­schicken, obwohl ich sie eigentlich komplett frei stellen müsste. Die Auszahlung des Kurzarbeiter­geldes verzögert sich aber um sechs bis acht Wochen und ich muss als ­Unternehmer in Vorkasse gehen.

Wie reagiert die Politik auf die allarmierende Lage bei den Reisebüros?

Bei der Politik stoßen wir bisher auf taube Ohren. Anders als die großen Veranstalter und die Fluggesellschaften haben wir Reisebüros keine starke Lobby. Dabei gibt es in Deutschland etwa 11.000 Reisebüros mit rund 100.000 Mitarbeitern. Und etwa 80 Prozent der Urlaubsreisen werden immer noch in Reisebüros gebucht.

Bis Ende April summierten sich die Umsatzausfälle in der deutschen Tourismusbranche auf 4,8 Milliarden Euro. Das ist ein Minus von knapp 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei ist der Tourismus auch in Deutschland ein großer Wirtschaftsfaktor, der vom großen Veranstalter, über uns Reisebüros bis hin zu Busunternehmen und Boots- und Fahrradverleihen reicht. Dazu kommen noch die Gastronomie und die Hotellerie. Die Politik sollte sich auch Gedanken darüber machen, was aus Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder auch Brandenburg wird, wenn die touristische ­Infrastruktur durch den Lockdown zerstört wird!

Was fordern Sie von der Politik?

Unsere zentrale Forderung ist ganz einfach: Es muss auch einen Rettungsschirm für die Reisebranche geben! Außerdem brauchen wir einen Exit-Plan, der uns eine Perspektive gibt. Daran würde ich auch gerne persönlich mitarbeiten. Aber es gibt weder belastbare Informationen aus der Politik, noch eine Exit-Strategie. Und das erzeugt Panik!

Enttäuscht sind wir auch vom Verhalten vieler Hausbanken, die nur zögerlich die jetzt angebotenen KfW-Kredite vermitteln.

Schließlich wollen wir diese Krise überstehen, unsere Mitarbeiter behalten und auch künftig für unsere Kunden da sein. Wir lieben diesen Job!

Was wollen Sie Ihren Kunden sagen? Wie können die Kunden jetzt helfen?

Erst einmal sind unsere Mitarbeiter auch in dieser für uns schwierigen Zeit für unsere Kunden da. Alle drei Büros sind besetzt und telefonisch und per E-Mail erreichbar. Auch Terminvereinbarungen für persönliche Beratungsgespräche sind jederzeit möglich. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bei allen meinen Mitarbeitern für das riesige Engagement, was sie derzeit an den Tag legen, bedanken!

Von unseren Kunden erhoffe ich mir Verständnis für unsere derzeitige Lage, respektvollen Umgang und dass Sie uns durch ihr Kaufverhalten eine Perspektive geben. Das heißt, die gebuchten Reisen nicht zu stornieren sondern zu verschieben. Eine Hilfe wäre auch, wenn die Kunden, die in den nächsten Wochen eine innerdeutsche Reise planen, diese nicht online buchen sondern im Reisebüro. Ich hoffe, dass unsere Kunden sich ihre Reiseträume erhalten!

Es fragte: Vesa Elbe

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