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Flughafengemeinde

Zu Fuss durch die 
Flughafengemeinde

Teil 2: Unterwegs in SelchowDer Ortsteil Selchow liegt am westlichen Flughafenzaun des BER und verfügt über wunderschöne und unberührte Natur, die man in einer solchen Nähe zu einem Großflughafen niemals vermutet. Aus Waßmannsdorf kommend kann man den breiten Fußgänger-Radweg nutzen, um das Dorf Selchow zu erreichen. Der Weg liegt im Prinzip auf der alten Poststraße, die früher vom Berliner Dönhofplatz über Mittenwalde bis nach Dresden führte. Wer heute von Selchow weiter in Richtung Mittenwalde fährt, kann zwischen Tollkrug und Brusendorf an der rechten Straßenseite einen der alten Post-Meilensteine entdecken. Tollkrug (früher: Zollkrug) war auf dieser alten Verbindungsstrecke eine der Poststationen mit Gaststätte. Bevor man den einst von askanischen Rittern eroberten Ort Selchow erreicht, liegt rechter Hand, hinter dem sogenannten Wiesenweg, welcher heute durch die Bahn und die zahlreichen Bauarbeiten an den Wegen und Straßen kaum noch zu erkennen ist, der Hofladen „45 über Null“. Diese Restauration mit einer durch vielfältige Angebote im Außenbereich liegenden Bar lädt nicht nur zu leckeren Speisen und Getränken, zu hausschlachtener Wurst und anderen Produkten der umliegenden Bauernwirtschaften ein, sondern auch zum Verweilen, um in bequemen und bunten Liegestühlen mit einem leckeren Getränk in der Hand Flugzeuge in 35-50 Meter Höhe zu beobachten, die über einen mit lautem Getöse hinweg rauschen. Wenige Meter hinter dem Hofladen kommt man in den Ort, vorbei an einem Meilenstein, der im Beisein des Brandenburgischen Ministers a.D. Jörg Vogelsänger errichtet wurde. Dieser Minister hatte sich sehr für die Förderung des Radweges zwischen Waßmannsdorf über Selchow nach Glasow eingesetzt. Daran erinnert dieser Stein. Geht man dann in den Ort Selchow über die Bahnbrücke, welche 4 Gleise überspannt, liegt gleich hinter der Brücke die Einfahrt eines Radweges, welcher um den Ort herumführt. Entscheidet man sich für diesen Weg, kommt man am Selchower Lärmschutzwall vorbei und trifft bereits hier auf eine vielfältige Vogelwelt.

Beim Weitergehen kommt man an einem hochmodernen Bürohaus vorbei, welches die Firma Harder & Partner vor einigen Jahren für die Air Berlin als Technikzentrale errichtete. Nach deren Insolvenz zog die Flughafengesellschaft FBB in diesen Gebäudekomplex. Am Ende des Radweges gelangt man über die Rotberger und Messestraße zum Ausstellungsgelände der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA). Das Messegelände, welches für die ILA in einer Rekordzeit von 8 Monaten errichtet wurde, hält einige Überraschungen bereit. Am Gebäude „A“ kann man vom Fußgängerweg das größte Wandbild Brandenburgs bestaunen. Es zeigt den Ort Selchow mit vielen Gebäuden und örtlichen Besonderheiten. Unter anderem findet man hier eine Ansicht des alten Gutshauses, welches von den Berliner Stadtgütern vor wenigen Jahren vollständig abgerissen wurde. Das war für den Ortsteil Selchow und die Gemeinde Schönefeld besonders bedauerlich. Bis zur Wende diente dieses Gutshaus, welches im 19. Jahrhundert im italienischen Villenstil umgebaut und vollständig saniert wurde, als Internat und Schule, das heißt als Lehrlingswohnheim für Azubis in landwirtschaftlichen Berufen.

Eine große Errungenschaft für Selchow war der Bau der Neukölln-Mittenwalder-Eisenbahn (NME), die auf der 33 ­Kilometer langen Strecke den Berliner Stadtteil Neukölln und Mittenwalde verband. Diese Kleinbahn nahm im Jahre 1900 ihren Betrieb auf und setzte ihn bis zum 21. März1951 fort und das mit Geschwindigkeit von 20 km/h. In dieser Zeit konnte Selchow einen Bahnhof sein eigen nennen, der über 4 Gleise verfügte. Nachdem der letzte Zug Selchow für immer verlassen hatte, wurden die Gleise zurück- und der Bahnhof zu einem Wohnhaus umgebaut. Zuletzt wohnten drei Familien in diesem umgebauten und als Unterkunft genutzten Gebäude. Da der Selchower Bahnhof auf der Fläche des neuen BER lag, mussten diese Fa­milien umgesiedelt werden. Ihr Wunsch war es, in jedem Fall im Ort zu bleiben, so dass wir ein neues und behinderten-­gerechtes Wohnhaus im Ort für diese und 6 andere Familien errichteten.

Geht man vom Meilenstein, der gegenüber des Messeeingangsbereiches seinen Standplatz hat und der mit freundlicher Unterstützung der alteingesessenen Selchower Familie Mette errichtet wurde, in den Ort hinein, kommt man direkt zum sanierten und neu gestalteten alten Guts-Park. Auf dem Dorfanger selbst stößt man auf einen sogenannten Kaiserstein. Diesen hatte der Kriegerverein Selchow am 22. März 1894 anlässlich des 100. Geburtstages von Kaiser Wilhelm dem Großen, dem Großvater des letzten deutschen Kaisers Wilhelm des Zweiten, errichtet.

Gegenüber dem Kaiserstein befindet sich die Kirche, die zwischen 1280 und 1300 errichtet wurde. Zur Wendezeit befand sich die alte Feldsteinkirche in einem äußerst schlechten Zustand. Die Renovierung und Sanierung waren dringend erforderlich. Joachim Kämpfer, ein Berliner Architekt, der 1930 in Selchow geboren wurde, nahm sich der Sache an und leitete die Sanierungsarbeiten in den Jahren 1999/2000. Spenden der Selchower Bürger, Geld aus der Gemeinde Schönefeld, dem Land Brandenburg und von der Evangelischen Kirchegemeinde ermöglichten es, die erforderlichen 350.000 DM für diese wichtige Erhaltung der Kirche aufzubringen. An der westlichen Seite der Kirchenmauer befindet sich ein Gedenkstein für die Toten der beiden Weltkriege.

Die heutige Einwohnerzahl ­Selchows entspricht der von 1801, als 171 Einwohner hier lebten. In der Wendezeit von 1989/90 wohnten 361 Menschen im Ort. Doch nach der Umsiedlung eines Teils der Bevölkerung, nach dem Wegzug der hauptsächlich jungen Leute und dem Tod vieler älterer Bürger ging die Einwohnerzahl in diesem Ortsteil rapide runter und erreicht heute den Stand von 1801. Die höchste Einwohnerzahl zählte Selchow 1961, in diesem Jahr lebten 650 Menschen im Dorf.

Der Name des Ortes geht auf einen Henricus de Selchow zurück. Das war der erste Kolonist, der 1242 im Copialbuch des Klosters Lehnin urkundlich erwähnt wurde. In Selchow wurden slawische Wurzeln vermutet. Deshalb musste man davon ausgehen, dass dieser Ortsteil bereits vor 1242 von Slawen besiedelt war. Den endgültigen Beweis fanden die Archäologen erst vor wenigen Jahren beim Bau des BER. Sie entdeckten Reste slawischer Gehöfte und konnten damit gut dokumentieren, dass hier einst Slawen auf einer Sandinsel in dem einst sumpfigen Gebiet Selchows lebten.

Selchow ist der Ortsteil in Schönefeld, der mehr Pferde als Einwohner zählt. Wegen der vielen Pferde finden sich im Wappen zwei zu einem S-geformte Hufeisen. Das „S“ steht für Selchow und die Hufeisen weisen darauf hin, dass hier im Prinzip ein Dorf existiert, in dem die Pferde eine Hauptrolle spielen. Das Wappen heraldisiert deshalb ein Bildsiegel mit dem Hufeisen „S“ und der Selchower Kirche. Pferde hatten in Selchow schon in früheren Jahren eine große Bedeutung und Tradition. Seit 1968 baute man Selchow zum Zentrum des Pferdesports und der Pferdezucht aus. Die Keidel-Ranch, die am Ortsausgang in Richtung Glasow liegt, legt noch heute beredtes Zeugnis davon ab, wie wichtig die Pferdehaltung in diesem kleinen, aber wunderschönen Ortsteil ist.

Egal, in welche Richtung man in Selchow geht, überall finden sich unvergessliche Orte, die man ob ihrer wundervollen Natur bestaunen kann. Ein Besuch in diesem Ortsteil ist deshalb lohnens- und empfehlenswert. Aus diesen Gründen wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, interessante Begegnungen und viele neue und spannende Entdeckungen!

Viel Freude beim Wandern oder Radfahren auf Selchower ­Wegen und Stegen!

Ihr Dr. Udo Haase

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